Kinder des Feuers
keine Angst habt zu verlieren!«, rief sie siegesgewiss und lachte laut.
Wenig später saß sie bei ihnen, nahm einen Schluck aus dem Methumpen, konzentrierte sich darauf, die Spielzüge zu erfassen – und mahnte sich, geduldig zu bleiben. So schnell sie alles hinter sich bringen wollte – noch galt es zu warten, bis sich die Nacht über den Königshof gesenkt hatte und alle schlafen gegangen waren. Überdies durfte sie die beiden – die sich ihr mittlerweile auch vorgestellt hatten – nicht zu vorschnell ausfragen.
Erst als die Humpen schon halb leer waren, ihre Gesichter gerötet, sie zwei Spiele verloren, zwei weitere gewonnen hatte, fragte sie nach dem König.
»Ist er denn nicht hier?« Sie gab ihrer Stimme einen nebensächlichen Klang. »Als ich vorhin bei Richard war, habe ich gehört, dass er ihn schon länger nicht besucht hat.«
»Oh, das hat er schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan!«, rief Roscelin. »Er ist zwar von der Jagd zurückgekehrt, aber meidet den jungen Grafen. Hier ist es sehr einsam, kaum einer leistet uns Gesellschaft, schon gar kein Weib wie du.« Er blickte sie anzüglich an.
»Ein prächtiges Weib!«, sekundierte Girart. Mochte man ihm auch mehr Ehrgeiz und Vorsicht nachsagen – weder der Met noch ihr Anblick verfehlten ihre Wirkung. »Es heißt, Normannenweiber seien besonders stark, stimmt das?«, fügte er hinzu.
Sein Gesicht rückte unvermittelt näher, und Mathilda wich zurück. Dennoch setzte sie ein kokettes Lächeln auf. »O ja, wir sind stark. Vor allem sind wir auch geschickt. Ich würde es euch gern bei einem anderen Spiel beweisen, denn das Würfeln wird mit der Zeit etwas langweilig. Wie wär’s mit Knochenwerfen? Ich glaube kaum, dass ihr mich darin besiegen könntet.«
Knochenwerfen war vor allem ein Zeitvertreib von Kindern, doch Girart und Roscelin gingen begeistert auf den Vorschlag ein.
»Ich würde dir gern beweisen, wie geschickt ich meinerseits mit meinen Händen umgehen kann!«, rief Roscelin.
»Ach was, du mit deinen Pranken!«, höhnte Girart. »Ich hingegen werfe den Knochen immer zielgenau. Weil ich nun mal das nötige Feingefühl habe.«
Auch seine Hände glichen Pranken, aber Mathildas Lächeln wurde breiter, und sie forderte begeistert: »Nun denn, dann holt mir Knochen.«
Roscelin stand bereitwillig auf, doch Girart blieb sitzen und schien von dem Gedanken, eine Weile mit ihr allein sein zu können, sehr angetan. Das konnte Mathilda allerdings nicht gebrauchen. Sie neigte sich wieder vor. »Knochen allein füllen nur leider nicht den Magen, und das Spiel mit euch macht hungrig. Kannst du uns nicht etwas zu essen bringen?«
Girart runzelte die Stirn.
»O bitte!«, rief sie nahezu flehentlich, ehe er ihr Ansinnen verweigern konnte. »Sonst muss ich in der Küche selbst ein Stück Brot erbetteln.«
Zu ihrer Erleichterung erhob er sich nun doch und folgte Roscelin nach unten. Endlich! Sie war allein mit den beiden halb vollen Humpen!
Obwohl sie lange auf diesen Moment gewartet hatte, zögerte Mathilda dennoch, zur Tat zu schreiten. So aufdringlich die beiden sich auch mit Blicken und Worten erwiesen hatten – sie hatten die Grenzen der Höflichkeit nicht überschritten, sich vielmehr als gutmütige Kerle erwiesen, die nicht verdienten, dass sie ihnen schadete. Wenn ihr Plan aufging, würden die beiden wahrscheinlich mit dem Tod bestraft. Gewiss, der König würde das Urteil aussprechen, seine Männer es vollziehen – aber doch war sie diejenige, die sie ins Verderben schickte, und als sie sich die arglosen Gesichter heraufbeschwor, fühlte sie sich kurz außerstande dazu. Doch als sie an Richard dachte, an Sprota, an Osmond, an Arvid, gab sie sich einen Ruck. Zu viele verließen sich auf sie und darauf, dass sie die Skrupel überwand und etwas Falsches tat, damit es zum Richtigen führte.
Mathilda öffnete das Ledersäckchen, das an ihren Gürtel gebunden war, und streute rasch etwas von dessen Inhalt in die Methumpen. Im Kloster Sainte-Radegonde hatte sie viel über Kräuter gelernt, auch über jene, die den Schlaf brachten, nämlich eine Mischung aus Bilsenkraut, Nachtschattengewächs und Mohn.
Sie hatte das Ledersäckchen kaum wieder verstaut, als die beiden zurückkamen. Eigentlich war sie nicht hungrig, aber sie war froh, ihren Blicken ausweichen zu können, indem sie sich aufs Essen stürzte – kalte Gänsekeule und ein Stück Brot. Auch als sie längst satt war, tat sie so, als wollte sie immer noch mehr essen. Die beiden
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