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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Männer tranken reichlich Met, und schließlich begannen sie, sich schläfrig die Augen zu reiben. Noch übermannte sie die Müdigkeit nicht, und Mathilda fürchtete schon, zu wenig von den Kräutern genommen zu haben. Doch als sie sich erhob, laut fragte, wer nun zuerst seine Geschicklichkeit beweisen wolle, die Antwort nicht abwartete, sondern einen Knochen warf, wurde dessen Klackern von einem Schnarchen übertönt. Sie fuhr herum: Roscelin war mit dem Kopf auf die Tischplatte gesunken, Girart auf die Schulter des Kumpanen. Beide schliefen sie tief und fest.
    Wieder überkam Mathilda das schlechte Gewissen, doch sie ließ sich nicht davon lähmen, legte hastig ihren Umhang wieder um und eilte in Richards Schlafgemach, wo Osmond und Richard bereits ungeduldig warteten.
    »Sie schlafen! Sie schlafen tief und fest! Wo ist Arvid?«
    »Eben war er hier und hat berichtet, dass in den Gängen alles ruhig ist.«
    So wie Mathilda ihren Teil des Plans erfüllte – die beiden Wachtposten betrunken zu machen –, hatte sich Arvid die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und überprüft, ob sie auf dem Weg, der ins Freie führte, auch auf niemanden stoßen würden. Sollte er wider Erwarten jemandem begegnen, so würde er als Mönch, der nächtens nicht schlief, sondern wachte und betete, nicht weiter auffallen.
    Mathilda bedauerte, dass er nicht hier war und sie mit einem aufmunternden Nicken bestärken konnte. Es war jedoch keine Zeit, auf seine Rückkehr zu warten.
    »Also los!«, sagte Osmond und holte aus einer Ecke des Raums einen Strohballen.
    Dieser Teil des Plans ging auf einen Vorschlag von Mathilda und Arvid zurück, die sich einst hinter Strohballen vor den Angreifern des Klosters verborgen und damit ihr Leben gerettet hatten. In einem ähnlichen Strohballen ließ sich auch ein Knabe verstecken.
    Richard versuchte zu lächeln, als Osmond begann, ihn in den Strohballen zu wickeln, gleich so, als wäre es ein Spiel, obwohl jeder wusste, dass sie alle ihr Leben riskierten.
    Hoffentlich bekommt er genug Luft, dachte Mathilda.
    Als Osmond den Strohballen hochhob, umrundete sie ihn einmal, um zu prüfen, ob auch nichts von dem jungen Grafen zu sehen war. Später folgte sie ihm hinaus in den Gang und in den Hof. Wenn sie wider Erwarten auf jemanden trafen, konnte sie ihn vielleicht ablenken.
    Sie hielt nach Arvid Ausschau, doch weit und breit war nichts von ihm zu sehen. Die kalte Nachtluft, die sie im Freien traf, belebte sie nach den vielen Stunden in den stickigen Räumen, doch dann stockte ihr der Atem.
    »He! Wartet!«
    Aus dem Dunkel ertönte eine tiefe Stimme. Sie konnte nicht erkennen, wer da auf sie zutrat – doch sie kündete von einem sehr großen, sehr grimmigen Mann.
    »Wohin willst du mit dem Stroh?«, rief er.
    Mathilda hatte keine Ahnung, wie sie diesen Mann ablenken konnte, aber Osmond wusste sich selbst zu helfen.
    »Darauf schläft der kleine Richard. Er ist sehr krank und schwitzt entsetzlich, also will ich das Stroh wechseln.«
    Mathilda hörte, wie der Mann auf den Boden spuckte.
    »Dann bleib mir bloß fern! Ich kann kein Ungeziefer von Nordmännern gebrauchen!«
    Osmond ging wortlos weiter und verschmolz mitsamt dem Strohballen mit der Dunkelheit, während sie selbst im Hof zurückblieb. Das Herz pochte ihr immer noch bis zum Hals, nur langsam konnte sie sich davon überzeugen, dass bisher alles wie geplant gelaufen war.
    Osmond würde mit Richard im Strohballen die Stadt verlassen, an einem geheimen Ort ein Pferd vorfinden, das Arvid dort angebunden hatte, und Richard zur Burg von Coucy bringen. Der dortige Graf – empört über Wilhelms Ermordung und Richards Geiselnahme – hatte ihnen seine Hilfe angeboten, und die Mauern seiner Burg waren hoch und dick genug, um notfalls einer monatelangen Belagerung standzuhalten. Ewig konnte Richard natürlich nicht in Coucy bleiben, weswegen Osmond den Knaben nach einer kurzen Rast und nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie nicht verfolgt wurden, nach Senlis bringen würde, dessen noch einflussreicherer Graf ebenfalls auf ihrer Seite stand.
    Hastig ging Mathilda wieder hoch, um ihre letzte Aufgabe für diese Nacht zu erfüllen. Auf dem Weg in Richards Gemach kam sie an Roscelin und Girart vorbei, die immer noch tief und fest schliefen. Bei Tageslicht betrachtet waren sie kräftige, rohe Männer – im Schlaf jedoch hatten sie etwas Kindliches, Unschuldiges, das sie berührte und aufwühlte. Warum, haderte sie, ist die Welt nur ein solch grausamer Ort, wo

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