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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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man so oft gezwungen ist zu töten, um Leben zu retten?
    Schnell eilte sie weiter und formte in Richards Gemach die Decke auf der Bettstatt so, als würde ein Kind darunter liegen. Falls der Mansionarius, Diener oder Ärzte am kommenden Morgen den Raum betraten, würden sie zunächst glauben, dass der Knabe noch schlief.
    Möglichst lautlos verließ sie den Raum. Doch auch wenn Roscelins und Girarts taube Ohren nicht hörten, wie sie hinter sich behutsam die Türe schloss – ein anderer tat’s. Als Mathilda herumfuhr, ragte vor ihr eine Gestalt auf.
    Arvid spürte, wie sie erst versteifte, sich dann aber, sobald sie ihn erkannte, Erleichterung in ihrem Gesicht ausbreitete.
    »Alles ist gut gegangen! Sie schlafen!«, flüsterte sie aufgeregt. »Ich habe gesehen, wie Osmond mit Richard das Gemach verlassen hat.«
    Er legte rasch seine Hand auf ihren Mund. Ihre Lippen fühlten sich so weich an und weckten das unbändige Verlangen, sie zu küssen. Ein Teil in ihm verging vor Angst und Sorge, ein anderer hingegen genoss dieses große Abenteuer, fand es nicht zuletzt so reizvoll, weil jeden Augenblick Unheil drohte. Arvid hatte sie bis jetzt nicht erlebt – diese Faszination, über einen Abgrund zu balancieren, der nicht nur dunkel und tief war, sondern ihn regelrecht herauszufordern schien. Vielleicht war diese Faszination Zeichen von Leichtsinn, vielleicht ein Erbe seines wahnsinnigen Vaters. Er hatte sich selten so hellwach gefühlt, so lebendig.
    Hastig beugte er sich vor und küsste Mathilda. Kurz erwiderte sie den Kuss, dann löste sie sich von ihm.
    »Nicht jetzt, wir haben keine Zeit.«
    »Ist denn … ist denn im Hof alles gut gegangen?«
    »Niemand hat Osmond aufgehalten.«
    »Gott sei Dank!«
    »Aber jetzt müssen wir uns beeilen.«
    Es war ihm fast unerträglich, sie allein zu lassen. Aber ihr Plan sah vor, dass es besser war, sich an dieser Stelle zu trennen, sodass ein jeder selbst unauffällig die königliche Pfalz verlassen könnte.
    »Geh du als Erster«, bekräftigte sie ihr Vorhaben, »ich halte ein Auge darauf, dass die beiden auch weiterhin tief und fest schlafen.«
    Alles in ihm protestierte. Gewiss, sie hatte Recht – falls die Krieger erwachten, würde es nicht ihm als Priester, sondern ihr gelingen, ihnen noch mehr Met einzuflößen. Aber was, wenn man sie später erwischte, wie sie sich zu nachtschlafender Zeit herumtrieb?
    »Ich bitte dich!«, drängte sie ihn, als sie sein Zögern fühlte. »Wir haben über alles gesprochen – und gemeinsam entschieden, dass es so am besten ist.«
    Mathilda drückte Arvids Hand, dann ließ sie ihn los. Sein Unbehagen wuchs, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehen und sie zurückzulassen. Am Ende des Gangs drehte er sich ein letztes Mal um. Sie winkte ihm zu, ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet.
    »Keine Angst! Wir sehen uns doch schon morgen früh wieder!«, wisperte sie hoffnungsfroh.
    Seine Kehle wurde ihm eng, es fielen ihm keine passenden Worte ein, um zu bekunden, dass er wie sie darauf vertraute.
    So rang er sich ein letztes Lächeln ab, nickte ihr zu und zog sich rasch wieder die Kapuze über den Kopf.
    Einmal mehr bereute es Mathilda, dass sie die königliche Pfalz bei ihrer Ankunft nicht genauer in Augenschein genommen hatte. Bei Tageslicht hätte sie sich einschärfen können, wie man sie am leichtesten und am schnellsten verließ. Jetzt, in der Finsternis, glich ein Gebäude dem anderen: der Getreidespeicher, die Scheunen, die Vorratskammer und die Stallungen. Die vielen Gänge, die sie verbanden, waren entweder voller Rauch oder zugig, die wenigen Menschen, auf die sie traf, schliefen ähnlich fest wie Girart und Roscelin. Doch dieses Glück konnte sie jeden Augenblick verlassen. Sie musste endlich die Bäckerei finden!
    Dort nämlich, dies hatte Esperlenq vor ihrem Aufbruch nach Laon herausgefunden, befand sich ein geheimer Ein- und Ausgang: Er wurde von den Müllern benutzt, die aus den Mühlen der Umgebung frisches Mehl lieferten. Mathilda konnte durch ihn die Pfalz verlassen und würde dahinter von Arvid erwartet werden.
    Doch der Geruch, der ihr eben in die Nase stieg, verhieß nicht frisches Brot und Getreide, sondern die Nähe der Latrinen. Sie hörte jemanden stöhnen, der sich offenbar unter Magenkrämpfen entleerte. Hastig ging sie weiter. Dort hinten, war da ein Feuer? Und hockten Wachen darum? Es war ihr noch leichtgefallen, das Hauptgebäude zu verlassen, im Hof aber stieß sie auf immer neue Hindernisse.
    Ja, dort

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