Kinder des Feuers
Gefühl gab, man sei nicht allein.
Eines Abends, als sie am Feuer saßen, hockte sich Hasculf zu Mathilda. Unvermittelt hob er seine Hand, strich ihr übers Gesicht und sie war verwirrt darüber, dass er doch aus Fleisch und Blut war, nicht aus Stein. Seiner Mitleidlosigkeit hatte sie Starrheit entgegensetzen können, nun, da er nicht aufhörte, sie zu liebkosen, entkam ihr ein erbärmliches Jammern. Zeigte er sich als Mensch, hatte sie vielleicht mehr zu fürchten als den Tod: die Schändung. Und was sonst hatte er im Sinn, da seine Hand nun eine ihrer Brüste umfasste, nicht begehrlich, eher prüfend, als gelte es, ein fremdes Tier, das man erlegt hat, ganz vorsichtig abzutasten, damit später, wenn man daranging, es auszuweiden, kein Stück kostbares Fleisch verdarb?
Sie stöhnte auf.
»Gewöhn dich an mich!«, fuhr er sie mit rauer Stimme an. »Wehr dich nicht!«
Sie konnte sich ja gar nicht wehren, nicht, solange sie gefesselt war, konnte nur klagende Laute ausstoßen, und zu ihrem Erstaunen waren diese nicht machtlos gegen den Mann aus Stein. Er zog seine Hände zurück und lehnte sich an einen Baumstamm.
Sie verstummte, aber unzählige Fragen ertönten in ihr. Warum hatte er darauf verzichtet, sich ihren Körper zu nehmen? Was meinte er, als er sagte, sie solle sich an ihn gewöhnen? Wohin brachte er sie? Und einmal mehr: Wer war sie?
Als sie am nächsten Tag im Wagen lag, waren ihre Finger so gefühllos, dass sie das Holz unter sich nicht länger spürte. Ihr Körper schien langsam abzusterben wie frische grüne Triebe, wenn das Frühjahr noch einmal Frost brachte. Ihr Geist hingegen wurde von fiebriger Aufregung erfasst. Sie ahnte, dass die Reise bald zu Ende ging, und am Ende der Reise warteten die Antworten auf all ihre Fragen.
Arvid gönnte dem Pferd nun längere Rasten, sich selbst aber nicht. Wenn er das Tier festband, legte er sich nur selten daneben zur Ruhe. Meistens streifte er zu Fuß umher. Das Land um Laon war ihm längst vertraut wie kein zweites. Er kannte jeden Baum, jeden Stein, jede Weggabelung, wusste, wo welches Gehöft stand und ob dort Bauern lebten, von denen er einen Humpen Bier erwarten konnte oder nur misstrauische Blicke.
Es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis Krieger von König Ludwig ihn aufhalten, befragen und herausfinden würden, dass er aus der Normandie stammte und an Richards Flucht beteiligt gewesen war.
Davor hatte ihn auch Sprota gewarnt, als er mit ihr gesprochen hatte. Gegen seine Überzeugung hatte er Osmonds Rat befolgt und war nach Pˆıtres geritten, doch wie erwartet hatte er Mathilda dort nicht vorgefunden.
»Was immer ihr zugestoßen ist«, hatte Sprota erklärt, »du allein kannst ihr nicht helfen.«
Sie hatte Recht – und dennoch wäre er am liebsten auf sie losgegangen. Selbst ihr gerundeter Leib hatte ihn nicht abgehalten, dem Zorn nachzugeben, der in ihm wütete, der Ohnmacht und der Hilflosigkeit. Einzig Esperlenq, der all das zu spüren schien und drohend die Fäuste hob, ließ ihn zurückweichen. Was er nicht verhindern konnte, war, dass er Sprota anfuhr.
»Ich gebe sie noch nicht auf! Rede nicht zu mir, als wäre sie schon tot!«
Sprotas Blick war voller Mitleid gewesen, was seinen Zorn nur noch weiter wachsen ließ. Er konnte ihr nicht verzeihen, dass sie eine war, die sich mit dem Unvermeidbaren so schnell abfand, und sich selbst konnte er nicht verzeihen, dass auch er so oft in seinem Leben vorschnell aufgegeben hatte und nun wohl seine gerechte Strafe dafür erhielt. Warum hatte er damals, nach Wilhelms Tod, nicht entschiedener um Mathilda gekämpft, warum hatte er sie ins Kloster gehen lassen?
Er wandte sich ab, floh aus Pˆıtres und strafte sich fortan, indem er sich keine Rast mehr gönnte, kaum Schlaf, nicht genug zu essen, nicht einmal zu trinken. Oft ritt er trotz Durst an einem klaren Bächlein vorbei und sagte sich, dass er nicht daraus trinken dürfe, solange er nicht wusste, ob sie genug zu trinken hatte.
Er wollte ihr jedes Opfer bringen, obwohl er ahnte, dass es nichts nützte und dass er es nicht nur aus Liebe erbrachte, sondern aus Verbissenheit – jener gleichend, mit der er einst am Wunsch festgehalten hatte, Mönch zu werden. Kurz kam ihm der Verdacht, dass all die Ziele seines Strebens – ob ein heiliges Leben, das Wohl des jungen Richard oder eine Zukunft mit Mathilda – womöglich immer nur zufällig erwählt und eigentlich gar nicht bedeutsam waren, dass er einfach nur etwas brauchte, egal was, um dieses
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