Kinder des Feuers
drum.«
Osmond schüttelte düster den Kopf. »Du kannst nichts mehr für sie tun.«
Er sprach es nicht aus, dachte aber wahrscheinlich an das, was auch Arvid so oft durch den Kopf ging, wenn es ihm nicht rechtzeitig gelang, sich das Denken zu verbieten: dass Mathilda auf der Flucht gefangen genommen, wahrscheinlich befragt und im schlimmsten Fall gefoltert und getötet worden war. Wer wusste besser, welch geringen Wert ein Leben für König Ludwig hatte – obendrein, wenn es das einer Frau war, die aus der Normandie stammte.
»Wenigstens ist Richard in Sicherheit«, murmelte Osmond und berichtete, was in den letzten beiden Wochen geschehen war. »Ich bin selbst nach Paris zu Hugo dem Großen geritten, und er hat tatsächlich, seine Hand auf der Bibel ruhend, versprochen, sich für Richards Rechte einzusetzen. Gewiss, Hugo ist nicht zu trauen. Seine Fürsorge für den rechtmäßigen Erben unseres Landes kommt reichlich spät. In Wahrheit geht’s ihm auch nur darum, Ludwig zu schaden. So oder so – dank Hugos Schutz konnte ich Richard mittlerweile von Coucy nach Senlis bringen.« Osmond hielt einen Moment inne. Ihm war nicht entgangen, dass Arvids Blick unaufmerksam in die Ferne schweifte. »Du kannst hier nicht länger bleiben«, rief er dann eindringlich.
Arvid seufzte. »Ich habe mit einer Wäscherin der königlichen Pfalz gesprochen: Wenngleich sich dort alle Welt das Maul darüber zerreißt, dass Richard geflohen ist, hat sie nichts von einer Frau gewusst, die dabei mitwirkte, und schon gar nicht hat sie den Namen Mathilda je gehört. Wenn sie noch dort wäre, würde alle Welt über sie tuscheln!«
Osmond zuckte die Schultern. »Vielleicht ist sie längst zu Sprota zurückgekehrt.«
»Sie wusste, dass ich auf sie warte und dass ich mir Sorgen mache.«
»Dennoch: Ich bitte dich, folge mir!«
Arvid wusste, dass Osmond Recht hatte. Er wusste, dass das erschöpfte Pferd ihn bald nicht länger tragen konnte und ihn selbst längst die Erschöpfung übermannt hatte. Aber er wusste auch, dass Mathilda nicht wohlbehalten zu Sprota gelangt war.
Mathilda schwebte in höchster Gefahr.
Er tötete sie nicht, aber er ließ sie auch nicht aus den Augen. Als sie sich ausreichend von Laon entfernt hatten, nahm er ihr den Knebel aus dem Mund, schnürte die Fesseln hingegen enger um Arme und Beine. Zunächst hatte er sie einfach über ein Pferd geworfen, und jeder von dessen Schritten hatte sich wie ein schmerzhafter Schlag in den Magen angefühlt. Später stieß er sie in einen kleinen Wagen, der für gewöhnlich benutzt wurde, um Waffen zu transportieren. Sie konnte darin nicht aufrecht sitzen, nur flach auf dem Rücken liegen und auf das Leder starren, das knapp über ihr Gesicht gespannt war. Der Boden war aus Holz gefertigt, die Fugen waren mit Wachs und Pech kalfatert. Immer wieder fuhr sie mit den Fingerspitzen darüber. Solange diese nicht gänzlich taub waren, war sie noch am Leben. Und je länger sie am Leben war, desto unwahrscheinlicher wurde, dass Hasculf sie töten würde.
Wenn sie rasteten, wurde sie aus dem Wagen gezerrt und an eine Feuerstelle gebracht, wo Hasculf ihr die Fesseln von den Händen löste. Sie bekam zu essen und stopfte es sich in den Mund, aber es schmeckte nicht. Hinterher fühlte sie sich stets, als hätte sie den Magen mit Sand und Steinen gefüllt. In den ersten Tagen war sie zu verängstigt, um während des Essens hochzusehen, doch später suchte sie Hasculfs Blick, und der erwiderte ihn starr. In seinen Zügen stand eine deutliche Botschaft: Du wirst mich nicht wieder übertölpeln, es wird dir kein weiteres Mal gelingen, vor mir zu fliehen.
Wie wird man ein solcher Mensch?, fragte sie sich unwillkürlich. Ein Mensch, der einen Namen trägt und eine Aufgabe erfüllt, aber ansonsten so glatt wie ein Stein in der Tiefe eines grauen Flusses anmutet – ein Stein, der nichts an sich hat, was ihn von anderen Steinen unterscheidet, keine Spur von Einzigartigem, Unverwechselbarem. Wer über solch einen Stein streift, fühlt nur Härte und Kälte. Mit Worten, Bitten, Flehen auf ihn einzuwirken wäre so sinnlos, wie den Stein zu streicheln und zu küssen: Der Abdruck von Lippen und weichen Frauenhänden bliebe doch nicht zurück.
Nicht nur Hasculf, auch die anderen Männer schienen so zu sein – Menschen nämlich, die, wenn sie sich nach Wärme sehnten, bestenfalls an ein prasselndes Feuer dachten, nicht an den weichen Leib von einem, der zu ihnen gehörte, den man liebte und der das
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