Kinder des Feuers
hast?«
Kurz vermeinte Hawisa, dass ihre Brust zu klein wäre, all die Ohnmacht, all die Wut zu fassen. Jene unbezähmbaren Gefühle würden gegen die Rippen treten, bis sie zerbrachen, bis die Knochen sie nicht länger stützten und von ihr nichts länger bliebe als ein erbärmliches Häuflein Fleisch und Blut, das hilflos am Boden läge, enttäuscht, verzweifelt, einsam. Alles in ihr schrie laut: Ich kann nicht mehr.
Sie blieb jedoch ganz ruhig und sagte: »Aber Turmod ist noch am Leben. Wir müssen seine Truppen mit unseren vereinen. Und dann müssen wir darauf warten, dass die Dänen die Franken aus dem Land jagen.«
»Selbst wenn es gelingt – es hat keinen Nutzen, wenn wir deine Tochter nicht finden, wenn sie das Reich weiterhin verweigert, das du ihr aufzwingen willst.«
Sie hatten den Stall erreicht. Hawisa ließ Daniel los. »Mathilda war meine ganze Hoffnung«, sagte sie bitter. »Aber in Wahrheit ist sie wohl einfach nur eine dumme junge Frau mit verwirrtem Geist. Nun gut, wenn sie sich weiterhin widerborstig gibt, dann mache ich eben mich selbst zur Königin der Bretagne.«
Bruder Daniel stierte sie an. Sie ahnte, was er in ihren Augen funkeln sah – nicht länger nur schmerzhafte Gefühle, sondern jenen Wahnsinn, den sie Mathilda unterstellte.
Ich verliere den Verstand, dachte sie. Wenn ich zu lachen beginne, kann ich nicht mehr damit aufhören. Wenn ich zu weinen beginne, vertrockne ich innerlich, weil so viele Tränen fließen werden.
»Warum willst du sie verfolgen, wenn du sie nun doch nicht mehr brauchst?«, fragte Daniel.
»Niemand verrät ungestraft Rögnvaldrs Werk!«
Sie packte ihn wieder, zerrte ihn zu den Pferden.
»Hätte ich nicht Jahre an deiner Seite verbracht, würde ich inständig für Mathilda hoffen, dass sie sich vor dir retten kann«, sagte Daniel. »Aber wer mit dir lebt, verlernt zu hoffen. Für andere und noch mehr für sich selbst.«
Seine Stimme klang nicht spöttisch wie sonst, sondern tonlos. Kein Grinsen verzerrte sein Gesicht, nur Überdruss.
Ehe sie aufs Pferd stieg, blickte Hawisa einmal mehr auf die felsige Küste. Der Stein war gefurcht wie das Gesicht eines Greises. Sie war selbst alt geworden. Und Mathilda, die noch junge, hatte sich von ihr losgesagt.
IX.
Anfang Juli 945 entschied Bernhard der Däne, dass ihre Stunde gekommen war. Nachdem Arvid dem dänischen König die Botschaft überbracht hatte, wo sich die Heere vereinigen sollten, nämlich am Fluss Dives, brachen die normannischen Truppen dorthin auf.
Während bei den Kriegern die Unruhe wuchs, nutzte Bernhard ein letztes Mal das Mittel der Täuschung und ließ König Ludwig von Rudolf Torta eine Botschaft übermitteln. Er gab vor, machtlos gegenüber Harald zu sein, dessen Schiffe wie aus dem Nichts gekommen seien und das Land bedrohten. Das normannische Heer, so behauptete er ferner, habe sich nur in Bewegung gesetzt, um König Ludwigs Herrschaft in der Normandie zu schützen. Er rate ihm dazu, mit Harald Verhandlungen aufzunehmen. Ohne Zweifel sei Blauzahn mächtig und seine Krieger stark, doch er, Bernhard, glaube nicht, dass ihn echtes Interesse an der Normandie treibe, sondern vielmehr Goldgier. Mit einer entsprechenden Zahlung könne man ihn leicht dazu bewegen, wieder abzuziehen.
König Ludwig und sein fränkisches Heer brachen zur gleichen Stunde auf, als die dänischen Schiffe von Harald Blauzahn die Dives hinaufsegelten. Als Ludwig davon berichtet wurde, erklärte der – irregeführt und zu leichtgläubig, dies zu bemerken – das Gesetz für nichtig, dass die Normannen sämtliche ihrer Waffen abzugeben hätten. Fortan wieder zum Krieg ausgerüstet trafen ihre Truppen die fränkischen, heuchelten noch freundschaftliche Verbundenheit und schlugen am rechten Ufer der Dives das Nachtlager auf, indessen die dänischen Schiffe lautlos und heimlich bei Nacht näher kamen und am gegenüberliegenden Ufer an Land gingen. Im Morgengrauen des nächsten Tages – ihre Zelte waren noch von Dunst verhüllt, sodass sie wie ein Trugbild wirkten – wusste jeder: Der Tag der Entscheidung ist gekommen.
Arvid hatte nächtelang nicht geschlafen, und er konnte auch in jener Nacht vor dem 13. Juli kein Auge zutun. Nachdem er die Botschaft an den Dänenprinzen überbracht hatte, war er an Bernhards Seite zurückgekehrt, weil ihm kein anderer Ort einfiel, um die weiteren Ereignisse abzuwarten. Er hatte seine Kutte wieder abgelegt, sodass nicht länger offensichtlich war, was er nun genau war, ob Berater,
Weitere Kostenlose Bücher