Kinder des Feuers
Menschen zu sein, sie glich, von einem schwarzen Tuch verhüllt, vielmehr einem Dämon, der sich aus fremden Sünden nährt. Die Hand jedoch, die diese Gestalt nun hob, war aus Fleisch und Blut, das Messer, das sie hielt, glänzte silbern im Mondlicht – und jener menschliche Dämon war bereit, das Messer auf sie herabzustoßen.
Für einen kurzen mächtigen Moment schien die Welt stehen zu bleiben. Noch verharrte das Messer in der Luft. Noch blickte Mathilda regungslos darauf. Dann geschah alles blitzschnell: Das Messer fuhr auf sie herab, und Mathilda rollte sich zur Seite.
Sie schrammte sich ihr Gesicht an einer Baumwurzel auf, doch der höllische Schmerz war Beweis, dass sie noch lebte und noch leben wollte. Wieder erhob der schwarz vermummte Angreifer die Waffe, und diesmal, so ahnte Mathilda, würde er schneller zustechen und kraftvoller, denn es war kein Leichtes mehr zu töten, weil sein Opfer nicht mehr schlief.
Mathilda hielt den Atem an, als sich plötzlich eine Wolke vor die Mondsichel schob. In der Schwärze, die das silbrige Glitzern des Messers verschluckte, versiegten ihre Panik und ihre Angst vor dem Tod jäh. Zurück blieb nur Bedauern: Wenn sie im Finstern starb – würde es dann immer finster bleiben? Würde kein Paradies auf sie warten, kein funkelnder Thron Gottes, keine Engel, nur Kälte und Schwärze?
Mathilda fühlte den heißen Atem ihres Mörders. Er hielt sie so fest, dass eine Flucht unmöglich war. Als das Messer ihre Haut traf, zog sie instinktiv die Füße an und trat dann wild um sich. Das, was sie traf, fühlte sich weich an – wie erstaunlich, dass einer, der es auf ihr Leben abgesehen hatte, keinen Körper aus Stein hatte, sondern aus Fleisch und Blut wie sie. Sie hörte einen gequälten Schrei, war sich nicht sicher, ob er aus ihrer Kehle stammte oder aus der des Fremden.
Als der Mond wieder hinter der Wolke hervorkroch, sah sie, dass der Angreifer immer noch das Messer hielt, aber es in ihren Leib stoßen konnte er nicht: Arvid stand hinter ihm und hatte seine Hand gepackt.
»Lauf!«, brüllte er, »lauf!«
Sie machte sich frei und zog sich hoch, wollte den ersten Schritt machen, stolperte jedoch. Noch während Mathilda fiel, sah sie, dass der Angreifer sich aus Arvids Griff befreit hatte und nunmehr ihn mit dem Messer bedrohte. Sie rappelte sich auf, aber konnte nicht länger davonlaufen. Geschmeidig wie eine Raubkatze sprang sie die dunkle Gestalt an. Sie war zu klein und zart und wurde alsbald abgeschüttelt, doch ob des unerwarteten Angriffs war ihrem Widersacher das Messer entglitten. Während er sich danach bückte, griff Arvid nach ihrer Hand und riss sie mit sich.
»Lauf!«, brüllte er wieder.
Mathilda sah weder Boden noch Bäume, aber rannte los, folgte blindlings einem Instinkt, den die vielen Tage im Wald geschult hatten. Ihr Herz hämmerte, ihre Brust schmerzte, und von ihrem Gesicht, das die harte Rinde der Baumwurzel aufgeritzt hatte, tropfte Blut, warmes Blut. Sie wollte nicht in Kälte und Finsternis sterben, und sie würde nicht sterben.
Kurz war sie sich dessen so sicher, dass sie abrupt stehen blieb und lauschte. Auch Arvid verlangsamte seinen Schritt. Sie hörte seinen Atem, sonst hörte sie nichts. Im fahlen Mondlicht konnte sie sein Gesicht kaum sehen, aber sie spürte seinen Körper. Mathilda hob die Arme und legte sie um ihn, presste sich an ihn, konnte sich endlich sicher sein: Sie lebte, sie lebte ja noch.
Er drückte sie seinerseits an sich, fuhr ihr übers Haar, erstarrte dann aber mitten in der Bewegung. Beide fuhren sie nun gleichzeitig herum.
Die dunklen Bäume – sie bewegten sich. Oder nein, nicht die Bäume, es waren die Gestalten, die dahinter hervorkamen. Die Männer, die das Kloster überfallen und erst nur einen vorgeschickt hatten, sie zu töten, hatten sie umzingelt.
Laufen, keuchender Atem, straucheln, festhalten. Blätter, die ins Gesicht klatschten, Zweige, die an den Haaren hängen blieben, Schritte, die immer näher kamen.
Nie hatte sich Mathilda so wach gefühlt wie während dieser erneuten Flucht. Nie zugleich so weggetreten, ganz so, als würde ein Teil von ihr das Schreckliche nicht selbst erleben, sondern über den Baumkronen schweben und von dort oben gleichgültig zusehen. Jener Teil hatte die Hoffnung schon aufgegeben, wo doch die Angreifer in der Überzahl waren und obendrein bewaffnet und weder sie noch Arvid etwas gegen sie ausrichten konnten.
Doch etwas war in ihr, das lief und lief und das ahnte, dass
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