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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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vermeintlicher Nachteil sein Gutes haben konnte. Weil es so viele Männer waren, die sie jagten, war darauf zu hoffen, dass sie sich gegenseitig verwirrten, dass sie nie sicher sein konnten, ob das Knacken und Rascheln die Gejagten oder die Gefährten verriet. Und Finsternis und Dickicht war auch mit schärfsten Waffen nicht beizukommen.
    Irgendwann blieben sie beide stehen, drehten sich um, sahen niemanden mehr.
    »Hoch!«, zischte Arvid. »Hoch auf den Baum!«
    Hätte sie nachgedacht, wäre ihr eingefallen, dass sie nicht wusste, wie man auf Bäume kletterte. Aber zum Denken blieb keine Zeit. Sie packte einen Ast, zog sich daran hoch, stieg von diesem auf den nächsten, und ehe ihr bewusst wurde, was genau sie da tat und woher sie die Geschicklichkeit nahm, hatte sie schon wie Arvid eine sichere Höhe erreicht. Ihre Hände waren von der rauen Rinde aufgeschürft und voller Blut, aber sie waren vorerst in Sicherheit, die Blätter schützten sie vor den Blicken der Verfolger.
    Es wäre klüger gewesen, in völliger Stille zu verharren, doch Mathilda konnte nicht schweigen. »Sie haben es nicht auf dich abgesehen, sondern auf mich.«
    Auch Arvids Verwirrung war größter als sämtliche Vorsicht. »Ich verstehe das nicht …«
    »Dieser Mann … er wollte mich töten!«
    »Vielleicht hat er uns nur verwechselt und wollte sein Messer eigentlich gegen mich erheben. Mathilda, es kann nicht anders sein! Diese Männer sind hinter mir her.« Er sprach so energisch, als gelte es, eine Trophäe zu verteidigen. Opfer zu sein war schlimm, aber schlimmer noch war, nicht zu wissen warum.
    »Und wenn du dich irrst? Wenn es … wenn es damit zu tun hatte, wer ich bin?« Die bedrohlichere Frage ließ sie unausgesprochen: Was an ihrer Herkunft konnte so schlimm sein, dass sie dafür sterben musste?
    »Weißt du … weißt du denn gar nichts über deine Eltern?«
    »Nein!«, rief sie zornig und verzweifelt zugleich. »Ich wurde als kleines Mädchen ins Kloster gebracht, das wurde mir immer erzählt, erinnern kann ich mich nicht daran. Und davor … davor ist alles grau.«
    Das stimmte nicht. Davor war nicht alles grau. Davor war die Blumenwiese, waren die Klippen und das blaue Meer. Und der blonde Mann, bei dem sie sich geborgen fühlte. Aber sie wollte Arvid nichts von ihren Träumen erzählen. Wie sollte eine blühende Wiese auch erklären, warum in der Nacht der kalte Tod kam?
    Mathilda senkte ihre Stimme. »Hast du gehört, welche Sprache sie sprachen?«
    Arvid zuckte die Schultern.
    »Wieder Bretonisch …«, antwortete sie sich selbst. Die Sprache, die sie verstand. Die Sprache, die verriet, dass ihre Herkunft etwas mit der Bretagne zu tun haben musste. Dem Land, in das zu einer Zeit, da es keinen starken Herrscher gehabt hatte, Nordmänner eingefallen waren. War das der Grund, warum sie die Blumenwiese verlassen musste?
    Sie schwiegen, weil alle Mutmaßungen ins Leere führten, vor allem aber, weil sich ihre Stimmen jäh mit anderen vermischten. Noch waren sie fern, aber sie kamen näher. Es waren die Stimmen der Männer. Ihre Schritte, gleichwohl vom Moos gedämpft, waren dumpf und schwer.
    »Sie können nicht weit sein«, hörte Mathilda einen der Männer sagen. Er stand direkt unter dem Baum, auf dem sie Zuflucht gefunden hatten.
    Sie wunderte sich nicht mehr, warum sie die fremde Sprache verstand, sie wagte nicht einmal, Arvid anzusehen und ihre Angst auch in seinem Gesicht zu lesen. Da war nur Panik, die sie schier erstickte – Panik, dass einer der Männer hochblickte und auf sie aufmerksam wurde, Panik, dass sie abrutschte und vom Baum fiel. Gottlob stierten sich die Männer nur gegenseitig an. Mathilda hielt den Atem an und klammerte sich noch fester.
    »Verflucht, wir waren ihnen so nahe! Sie sind uns nur knapp entwischt!«
    »Was stehen wir hier rum? Wir müssen weitersuchen!«
    »Und wie, wenn es keine Spuren gibt? Der Boden ist moosbedeckt.«
    »Dann müssen wir uns aufteilen und in sämtliche Himmelsrichtungen gehen!«
    »Bist du verrückt? Dann finden wir nie wieder zueinander!«
    Das Wiehern eines der Pferde übertönte die Stimmen – einer der Männer zerrte es mit sich und forderte auch die anderen auf, weiterzugehen. Die Schritte entfernten sich, die Stimmen wurden leiser. Mathilda wagte immer noch kaum zu atmen – Arvids Panik wurde hingegen früher von Genugtuung vertrieben.
    »Wir sind ihnen entwischt!«, flüsterte er triumphierend.
    Gewiss, noch konnten sie jederzeit zurückkehren. Doch Augenblick um

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