Kinder des Feuers
Am Ende aber zählt, dass sie sich den Dämonen gegenüber als stark erwiesen haben.«
»Und führe uns nicht in Versuchung …«
Eine Weile vergewisserten sie sich beide inständig, wie schlimm es war, was sie getan hatten, und zugleich, wie einmalig dieser Augenblick der Verführbarkeit.
Sie blickten einander nicht an. Irgendwann verstummten sie und legten sich unter die Bäume. Keiner schlief.
Auch in den kommenden Nächten mieden sie sich. Nur tagsüber blieb ihnen manchmal keine andere Wahl, als sich an den Händen zu halten. Die Bäume standen nicht länger dicht, und auf den weiten Lichtungen gluckerten Moore, in denen erbärmlich ersoff, wer hineingeriet. Arvid zeigte Mathilda, wie man am besten der Gefahr entging – indem man Reisigruten auf den Boden warf und wartete, ob er sie verschluckte oder nicht. Wo immer es möglich war, balancierten sie über Baumstämme, die der letzte Sturm umgeknickt hatte.
Mathilda folgte Arvids Befehlen, hielt sich, wann nötig, an ihm fest, aber wich seinem Blick ebenso beharrlich aus wie er dem ihren.
Irgendwann wurde der schlammige Boden fester, und der Wald fand ein Ende. Das Land dahinter war hügelig, die Wiesen braun und die Felder abgeerntet. Dies also ist die Normandie, in der ich fast mein ganzes Leben verbracht habe und die ich doch nicht kenne, dachte Mathilda. Farblos wie der graue Himmel versprach sie keine Ähnlichkeiten mit dem Land, von dem Rollo, wie eine Legende sagte, einst geträumt hatte: Einen Bienenschwarm hatte er in diesem Traum gesehen, der sich in blumenübersäter Landschaft niederließ – und nach dem Erwachen hatte er seinen Männern befohlen, die Segel zu hissen und mit den Drachenschiffen in den Norden des Frankenreichs aufzubrechen.
Nun, vielleicht gab es bunte Blumen nur in Träumen – in dem von Rollo und in dem ihren.
Letzterer kehrte in den Nächten, da sie unter freiem Himmel in Ackermulden schliefen, nicht wieder. Wenn sie sich morgens erhob, war sie noch steifer als im Wald, wo die Bäume sie besser vor dem Wind geschützt hatten. Hier wehte der Wind nicht nur kälter, sondern die Luft war auch salziger, und eines Tages sahen sie in der Ferne einen schmalen Streifen Meer.
Arvid brach das Schweigen, und was er sagte, klang so nüchtern, als hätte sie nie an seiner Brust geweint und er sie nie getröstet, umarmt und geküsst.
»Die Nordmänner siedelten sich hierzulande vor allem an der Seine und an der Küste an, nicht im Landesinneren«, sagte er, »sie haben viele neue Höfe errichtet und begonnen, die Wälder zu roden.«
Warum gibt es dann hier keine Nordmänner?, fragte Mathilda sich. Warum sind wir immer noch allein auf der Welt? Sie sagte es nicht laut.
Das Meer war jetzt ganz nah, das Rauschen der Wellen wurde lauter, die Luft salziger. Möwen durchpflügten kreischend den Himmel. Mathilda hatte noch nie das Meer gesehen – nur in ihrem Traum mit der Blumenwiese. Im Traum hatte es gefunkelt und geglitzert, hier war es schlammig grün und trüb.
Nun gab auch Mathilda ihr Schweigen auf. »Wie weit ist es noch bis Fécamp?«, fragte sie immer und immer wieder.
Und stets erwiderte er: »Nicht mehr weit.«
Nicht mehr weit bis zu der fremden Stadt, in der sie niemanden kannte außer Arvid, der sich selbst wie ein Fremder verhielt. Wenn sie ihn ansah, wie er mit verschlossenem Gesicht die Küste entlangmarschierte, über Tang und Stein und Sand hinweg, dann verblasste die Erinnerung daran, wie sich seine Lippen angefühlt hatten.
Irgendwann wurde der Himmel etwas blauer, weiße Schaumkronen hüpften auf den Wellen. Mathilda hob den Kopf, fühlte Sonnenstrahlen ihr Gesicht necken und schloss die Augen, um sich der Wärme hinzugeben. Bald schob sich wieder eine Wolke vor die Sonne, aber die Rauchsäulen, die in der Ferne hochstiegen, blieben sichtbar.
»Da drüben«, sagte Arvid, und er klang nicht erleichtert, dass sie ihr Ziel endlich erreicht hatten, eher verzagt, »das ist Fécamp.«
Jener junge Mann, der so viel Eifer zeigte, wurde Hasculf mit der Zeit lästig. Anfangs hatte er noch überlegt, ihn nach seinem Namen zu fragen, später war er froh, so wenig wie möglich von ihm zu wissen. Schlimm genug, dass jener immer wieder in der Wunde bohrte.
»Sie waren nur zu zweit, und sie waren unbewaffnet. Wie ist es möglich, dass sie uns entkommen sind? Wir haben sie doch fast gehabt.«
Das fragte sich Hasculf selbst. Dennoch stierte er den Jüngeren wütend an und schnaubte: »Hier im Wald hilft es uns nicht, dass
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