Kinder des Feuers
aus dem Westen, Sägen und Zangen, auch Kästen aus Eichenholz und Wetzsteine.
Arvid glaubte, der Kopf müsste ihm platzen ob all der vielen Geräusche. War die Welt tatsächlich so laut? Kein Wunder, dass er sich sein Leben lang nach der Stille eines Klosters gesehnt hatte! Er nahm auch in Mathildas Gesicht Verwirrung, fast Angst wahr, und trotz allem Trachten, sich von ihr fernzuhalten, hätte er ihr gern tröstend die Hand auf die Schultern gelegt. Doch dann gesellte sich zu ihrer Verstörtheit Neugier. Sie blieb vor einer Marktbude stehen, die vor allem Frauen anlockte – Hornkämme und Ketten aus Glasperlen, Fibeln aus Bernstein und glänzende Gürtelschnallen wurden dort angeboten. Obwohl sie sich – er sah es an ihrem zusammengekniffenen Mund – trotzig bemühte, diesen Dingen mit schnöder Verachtung zu begegnen, mussten sich doch Frauen ihres Standes einem Laster wie Eitelkeit unempfänglich zeigen, konnte sie sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. Er fühlte, wie Mathilda damit kämpfte, die Hände nicht nach dem Schmuck auszustrecken – genauso wie er all seiner Willenskraft bedurfte, sie nicht zu berühren. Wie sie widersagte er der Versuchung, doch ein verräterischer Gedanke schoss ihm durch den Kopf, als er in ihre großen dunklen Augen sah: Wie würde ihr jener Schmuck stehen, wie die feinen Wollstoffe aus Friesland auf ihrer hellen Haut wirken, wie der Brokat, den man aus dem fernen Byzanz hierher geschafft hatte?
Arvid wandte sich rasch ab und gab vor, sich für den Speckstein ein paar Buden weiter zu interessieren, mit dem man Eisenmesser schleifen konnte, für die großen Bottiche aus Nadelhölzern und für das fränkische Glas. Er lief weiter, und ein verlockender Geruch stieg ihm in die Nase. Auf dem Markt wurden nicht nur Waren angeboten, sondern auch Essen und Trinken, und sein Magen krampfte sich zusammen, als er die krossen Schweinshaxen und Geflügelkeulen sah, die auf einer Feuerstelle zwischen glühenden Holzscheiten gebraten wurden. Ein dicklicher Mann klopfte eben frisches Fleisch weich, und Arvids Gier wurde so groß, dass er es ihm am liebsten aus der Hand gerissen und roh in sich hineingewürgt hätte.
»Bitte!«, flehte er. »Ich bitte um eine milde Gabe! Ich bin tagelang unterwegs gewesen.«
»Hinweg, du dreckiger Kerl!«, knurrte der Mann.
Arvid blickte an sich herab und gewahrte erst jetzt, dass er vor Schmutz starrte. Unwillkürlich griff er sich an den Hinterkopf. Sein Haar war dort, wo er sich die Tonsur geschoren hatte, zwar kürzer, aber so verfilzt, dass sie wohl kaum noch sichtbar war.
»Ich bin ein Novize aus Jumièges!«
»Das kann jeder erzählen.«
»Aber …«
Arvid brach ab. Mathilda hatte sich vom Schmuckstand lösen können und trat nun an ihn heran. »Bist du einer Frau gegenüber auch so hartherzig?«, fragte sie.
Das Gesicht des Mannes blieb verschlossen – ein anderer Händler jedoch zeigte sich mildtätiger. Er winkte sie zu seiner Bude und reichte ihr eines der Trinkhörner, die dort in einem Ständer mit Wein und Cidre gefüllt zum Verkauf bereitstanden.
Mathilda nahm ein paar Schluck und reichte das Horn dann an Arvid weiter. Seit Ewigkeiten hatte er keinen Cidre mehr getrunken, er brannte in der Kehle und noch mehr in seinem leeren Magen. Dennoch konnte er nicht zu trinken aufhören, bis er das Horn mit dem süßlichen Trank bis auf den letzten Tropfen geleert hatte. Als er es wieder abstellte, schwindelte ihn, und Mathilda erging es wohl nicht anders. Sie bedankten sich bei dem Händler, und wankend setzten sie ihren Weg Schulter an Schulter fort ohne Anstalten zu machen, voreinander zurückzuweichen.
Hinter den Verkaufsständen floss ein Bach, in dem Wäsche gewaschen und gleich in den daneben dessen ungeachtet Abfall geworfen wurde. Ein paar Köter lagen träge am Ufer, einige Kinder suchten aus dem Unrat nach abgenagten Knochen und wetteiferten darum, wer sie am weitesten werfen konnte. Etwas abseits vom Markt hatte ein Münzmeister seine Bude. Er wechselte das Geld der Franken in jene Münzen, die in Graf Wilhelms neuer Münzanstalt von Rouen geprägt wurden.
Nun wurden die Gassen etwas lichter und Mathildas Schritte zögerlicher. Der Cidre war ihr so heiß ins Gesicht gestiegen, dass sie die Tunika ablegte, die ihr der Waldhüter überlassen hatte. Die Kutte darunter war zerrissen, wenngleich nicht so verschmutzt wie das Gewand. Mathilda schien Arvids Blick zu bemerken, als ein Windstoß sie erfasste.
»Und nun?«, fragte
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