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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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zurückgekehrt bin?«
    Seine Stimme brach. Rasch versiegelte er seine Lippen, ahnend, dass seine nächsten Worte mehr als nur die nackte Wut entblößt hätten, sondern – was noch schlimmer war – diesen inständigen, hitzigen Wunsch, irgendetwas zu packen und zu zerschlagen oder zu zerreißen. Nein, nicht irgendetwas. Irgendjemanden . Am liebsten Godoin selbst. Ja, drangsalieren wollte er ihn, bis er ihm gestattete, hier und heute die Profess abzulegen.
    Arvid krallte seine Hände ineinander und wagte kaum zu atmen, aus Angst, mit jeder Regung die dunkle Flamme, die in ihm loderte, noch weiter anzuheizen.
    »Erhol dich fürs Erste von den Anfechtungen, denen deine Seele ausgesetzt war«, erklärte Godoin. »Ich werde über eine Lösung nachdenken.«
    Arvid floh ohne weiteren Einspruch und erleichtert, nicht die Hand gegen den Abt erhoben zu haben.
    In den nächsten Tagen nagten Reue und Unbehagen an Arvid – weil er sich dem Abt anvertraut hatte, weil es ihm so schwerfiel, sich im Klosteralltag wieder einzufinden, und weil er Mathilda in Fécamp zurückgelassen hatte, ohne Abschied zu nehmen. Jetzt erschien es ihm schändlich, dass er – um die Sünde auszumerzen, die er mit ihr begangen hatte – so herzlos gehandelt hatte. Buße sah doch anders aus, war in Schlafverzicht, Gebet und Fasten zu suchen – nicht, indem man eine junge Frau sich selbst überließ. Nun, jetzt versuchte er also zu büßen. Er schlief kaum, aß wenig, betete viel, hatte jedoch keine Kraft mehr, bei den Bauarbeiten zu helfen.
    Eines Tages kamen diese ohnehin zum Erliegen, denn der Bruder Pförtner kündete hohen Besuch an, niemand Geringeren als Graf Wilhelm von der Normandie. Er kam nicht zum ersten Mal nach Jumièges, sondern hatte in den letzten Jahren des Öfteren bei den Mönchen um sein Seelenheil gebetet. Arvid hatte ihn immer nur aus der Ferne gesehen, und auch heute wahrte er Distanz. Zu seiner Buße gehörte, sich von allen zurückzuziehen, seinen Geist ganz leer zu machen und alles Denken allein auf Gott auszurichten.
    In der Stille, die er suchte, kam ihm allerdings ein verräterischer Gedanke. Wilhelm war ihm ähnlich. Sein Vater Rollo war ein Nordmann gewesen, seine Mutter Popa eine Christin. Obwohl fränkisch erzogen, musste sich Wilhelm manchmal zerrissen fühlen, hartnäckiger als andere um seinen Seelenfrieden ringen und ausdauernder als seine Nachbarn den Beweis antreten, dass sein Wille, gut und fromm zu sein, stärker war als das Erbe seines heidnischen Bluts.
    Arvid ging in den Klostergarten. Von hier aus blickte man auf manch zerstörte Mauer, die noch nicht mühsam Stein für Stein wieder aufgeschichtet worden waren – von Nordmännern zerstört, von Nordmännern, wie es Wilhelms Vater und sein eigener Vater Thure gewesen waren.
    Plötzlich bückte er sich, um einen der schweren Steine hochzuwuchten. Er grub sich schmerzhaft in seine Handflächen, und beinahe ließ er ihn fallen, aber mit zusammengebissenen Zähnen schaffte er es dann doch, ihn einige Schritte zu tragen und auf eine der halb zerstörten Mauern zu wuchten. Sein Rücken schmerzte, als er fertig war, aber er bückte sich rasch nach dem nächsten Stein.
    So fand ihn Godoin wenig später.
    »Was tust du da?«, fragte der Abt verwirrt.
    »Das, was wir seit Jahren tun – das Kloster wieder aufbauen.«
    Die Spuren der Zerstörung beseitigen, setzte er still hinzu, am Glauben festhalten, dass man alles wiederherstellen kann, wenn man sich anstrengt, dass man sämtliche Spuren von Kriegen und Raubzügen ausmerzen kann und so am Ende stärker ist als jene, die morden und versklaven und brandschatzen.
    »Ganz ohne Plan?«, fragte Godoin skeptisch.
    Arvid ließ den Stein sinken und schwieg.
    »Ich habe lange mit Graf Wilhelm gesprochen«, erklärte der Abt und fuhr alsbald fort: »Wilhelm versprach einmal mehr, uns zu unterstützen, Jumièges wieder aufzubauen. Ohne ihn stünde das Kloster endgültig leer. Tief in seinem Herzen würde er selbst gern Mönch werden, aber die Großen des Landes halten ihn zurück, weil dies das Land an den Rand des Ruins führen könnte. Mittlerweile hat Wilhelm wohl eingesehen, dass er nie ein Mönch werden kann, dass das als Verrat am Erbe seines Vaters und an den Menschen der Normandie gelten würde. Aber trotzdem will er ein frommes, gottgefälliges Leben führen.«
    Warum sprach Godoin so viel – und vor allem: warum mit ihm?
    »Wenn er so fromm wäre, müsste er doch Sprota verstoßen!«, warf Arvid ein, überrascht,

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