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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Mathilda von ihr bloßgestellt, weil sie nicht mit ähnlich hoher Herkunft auftrumpfen konnte.
    »Ich bin eine Nonne«, erklärte sie trotzig, »ich stand kurz vor der Profess, als …«
    »Wenn du die Profess noch nicht abgelegt hast«, fiel Gerloc ihr ins Wort, »dann bist du auch keine Nonne!«
    »Trotzdem«, beharrte Mathilda. »Ich habe mein ganzes Leben im Kloster verbracht. Es ist das Einzige, was ich kenne.«
    Gerloc öffnete erneut den Mund, doch Sprota gab ihr ein Zeichen, zu schweigen.
    »Es gibt kein Nonnenkloster in Fécamp«, erklärte sie ruhig. »Und gäbe es eins, so würde man dich ohne Mitgift doch nicht aufnehmen. Eine solche kann ich dir nicht schenken, aber ich schulde Bruder Dadon einen Gefallen, und hier kannst du alles haben, was du im Moment dringend nötig hast – eine warme Stube, neue Kleidung und ein nahrhaftes Mahl.«
    All das klang verführerisch, und kurz war Mathilda bereit, ihre ganze Zukunft auch nur für eine dieser Annehmlichkeiten aufzugeben.
    Doch dann schaltete sich Gerloc wieder ein. »Nur gebetet wird hier nicht«, höhnte sie.
    Gleich fühlte Mathilda sich herausgefordert, darauf zu bestehen, dass nichts wichtiger sein konnte als das Ringen ums eigene Seelenheil, den Überlebenskampf Lügen strafend, den sie an Arvids Seite im Wald geführt und den sie bestanden hatte.
    Ehe sie jedoch etwas sagen konnte, widersprach Gerloc ein anderer. »Das stimmt nicht!« Mathilda hatte nicht bemerkt, dass der kleine Richard nicht länger mit dem Holzschwert übte, sondern zu ihnen getreten war, ihnen gelauscht hatte und nun ernsthaft erklärte: »Mein Vater betet viel! Er ist ein frommer Mann.«
    Sein Blick war so wach und warm wie der von Sprota, sein Haare nicht braun wie aus der Ferne vermutet, sondern rötlich. Hatten Nordmänner nicht meistens blonde Haare? Allerdings war auch Arvid der Sohn eines solchen – und hatte dunkle.
    »Arvid … wo ist Arvid?«, fragte Mathilda plötzlich schrill.
    »Die Mönche können sich nicht um dich kümmern«, sagte Sprota nur.
    »Aber …«
    Gerloc benannte die Wahrheit schonungsloser: »Dadon und Arvid sind längst ins Kloster von Jumièges aufgebrochen.«
    Sie fügte nichts hinzu, aber als Mathilda sich jetzt erschrocken umblickte, vermeinte sie, die andere spöttisch sagen zu hören: Sie sind aufgebrochen, ohne sich auch nur einmal nach dir umzudrehen, um dir zu erklären, wohin sie dich gebracht haben, und um von dir Abschied zu nehmen. Sie waren einfach nur froh, dich loszuwerden.
    Mathilda hätte nie erwartet, dass nach Kälte und Hunger und mühseligem Irrweg durch den Wald etwas so wehtun konnte. Sie rang nach Atem, unfähig, sich so viel Gleichgültigkeit schönzureden, so viel Missachtung zu verstehen. Er war aufgebrochen … einfach gegangen … hatte sie zurückgelassen, als wären sie nicht eine verschworene Gemeinschaft gewesen, hätten sich nicht so viele Nächte lang gewärmt, hätten sich nicht geküsst … Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
    Erstmals wurde auch Gerlocs Blick mitleidig. »Komm. Du brauchst ein Bad, etwas zu essen und frische Kleidung – und dann kannst du uns erzählen, was genau du erlebt hast. Hier in Fécamp passiert meistens nicht viel, wir sind alle hungrig nach Geschichten.«
    Sprota hob wieder ihre Hand, um ihre Schulter zu berühren, und diesmal zuckte Mathilda nicht zurück. Sie war zu erschöpft, zu traurig und zu enttäuscht, um sich zu wehren. Ganz gleich, wie trügerisch die Wohltaten waren, die ihr die beiden Frauen versprachen – sie auszuschlagen hätte bedeutet, allein mit einem Kummer zu sein, den sie bislang nicht gekannt und den sie in dieser Heftigkeit nicht erwartet hatte.
    Arvid war nicht nur gegangen. Er hatte sie verlassen – genauso wie der blonde Mann auf der Blumenwiese. Doch dessen Tod war wahrscheinlich ein tragisches Geschick, Arvids Entscheidung hingegen nichts Geringeres als Verrat.
    Mathilda folgte Gerloc und Sprota ins Innere, und mit jedem Schritt wandelte sich Verletzung in Empörung und Kränkung in Wut. Wenn er gehen kann, ohne sich umzudrehen, dachte sie, wenn er mir nicht länger in die Augen blicken kann, dann kann auch ich weiterleben, ohne nur noch einmal wieder seinen Namen auszusprechen.
    Arvid hatte sich inständig nach dem vertrauten Tagesablauf gesehnt, danach, seine Tonsur nachscheren zu können, täglich den Gottesdienst zu feiern, Stunden in der Kapelle zu knien, hart daran zu arbeiten, das Kloster wieder aufzubauen. Früher hatte ihn diese Anstrengung

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