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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Helles, Grelles drang. Sie nahm die Welt erst wieder wahr, als sie ein Plätzchen erreichten, wo sie einen neuen Wall errichten konnten – geschützt von Blicken, zumindest fürs Erste. Alles in ihrem Leben schien nur fürs Erste, anstatt für immer gemacht zu sein. Im Kampf um den nächsten Tag – bis zum übernächsten war schon zu weit gedacht – blieb nicht einmal Zeit, ob verpasster Chancen zu hadern.
    Die Grundmauer des neuen Walls bauten sie aus der Ruine eines alten, der hier viele Jahre zuvor gestanden hatte. Innerhalb dieser Mauer aus rotem Granitgestein errichteten sie hastig einfache kleine Unterkünfte aus Ästen und Flechten. Sie waren nicht die Einzigen, die vor dem Heer geflohen waren, ein paar Familien hatten sich ihnen angeschlossen, weniger von Angst vor den Kriegern als von Hunger und Elend dazu getrieben.
    Letzterem ließ sich nicht wirklich entgehen. Die Kinder, die sich ihre aufgequollenen Leiber rieben, taten Hawisa bald leid. Sie wünschte sich, dass sie sterben würden, damit sie kein Mitleid mehr haben müsste, doch die Kinder waren zäher als ihr Mitleid. Irgendwann starrte sie sie ohne Bedauern und einfach nur überdrüssig an. In ihrem Leben hatte es zu viel Elend gegeben. Zu viel Tod.
    Unruhig ging sie eines Morgens im Inneren des Walls auf und ab, als sie Bruder Daniel auf sich zukommen sah. Auch er hatte so viel Tod gesehen – aber während es aus ihm einen Kriecher gemacht hatte, war sie zur Kämpferin geworden. Sie grinste nie wie er, sie hatte lediglich zu weinen verlernt. Ihm schien alles gleich, aber sie würde das … Erbe niemals aufgeben.
    »Was planst du nun, da Mathilda uns entwischt ist?«, fragte er.
    Hawisa versuchte, sich die düstere Stimmung nicht anmerken zu lassen. Schmählich genug, dass sie gegenüber Hasculf die Fassung nicht hatte wahren können, ihn vielmehr mit Vorwürfen überschüttet und jene schrill und hysterisch geklungen hatten. Seine mahlenden Kiefer hatten bekundet, wie widerwärtig es ihm war, sich von einer Frau so beschimpfen zu lassen. Aber er hatte es schweigend ertragen. Schließlich war sie nicht irgendeine Frau.
    »Nun, es wird neue Gelegenheiten geben. Ich bin zu warten gewohnt. Ich warte schon so lange …«
    »Bist du dir sicher, dass Mathilda sich überhaupt erinnern kann?«
    »Auch wenn sie nicht wissen sollte, wer sie ist – das bewahrt sie nicht vor ihrem Schicksal!«, rief Hawisa. »Denn seinem Schicksal kann man nicht entrinnen. Die Nornen weben es.«
    Dies war eine ihrer liebsten Geschichten aus dem Norden: die von den Nornen, die am Weltenbaum saßen, das Schicksal der Menschen in Holzstöcke schnitzten oder es spannen und woben und zugleich den Baum mit heilendem Wasser besprengten. Letzteres nützte nichts. Der Stamm war längst faulig, die Welt folglich nicht auf kräftigem, gesundem, sondern morschem Holz errichtet.
    In einem hatten die Christen und Nordmänner nämlich Recht: Die Erde war kein schöner Ort, sie war ein Jammertal, eine Stätte ewiger Kriege. Nur die Mittel, damit fertig zu werden, waren unterschiedliche. Christus hatte irgendwann aufgegeben, sich ans Kreuz schlagen lassen und darauf gewartet, dass der Vater im Himmel ihn erlöste. Die Götter des Nordens hingegen gaben niemals auf, sondern kämpften mit allen Mitteln. Sie waren weder schön noch freundlich noch liebevoll noch gnädig. Aber sie waren allesamt stark.
    Hawisa hob ihre Hand und umklammerte unwillkürlich ihr Thor-Amulett.
    Erstmals grinste Daniel nicht, sondern betrachtete sie ernst. »Erstaunlich, dass du dich dem Heidentum so ganz und gar überlassen hast, dass du anstelle des Kreuzes nun eine Rune trägst.«
    »Warum wundert dich das? Du betest doch auch nicht mehr.«
    »Aber du hattest die Wahl – ich nicht. Ich bin dein Gefangener, dein Sklave. Lass mich frei, und ich lebe morgen wieder in einem Kloster. Du hingegen hast dich für eine Seite entschieden – deiner wahren Herkunft zum Trotz.«
    Hawisa schüttelte den Kopf. »Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen.« Sie ließ ihr Amulett los, ballte ihre Hand zur Faust. »Ich muss sie kriegen. Diesen Arvid auch, aber vor allem sie … Mathilda.«
    »Warum? Ist es nur, weil sie …«
    Sie ließ nicht zu, dass er den Satz beendete. »Verstehst du denn nicht?«, unterbrach sie ihn schroff. »Ich führe nicht nur … sein Werk fort, sondern auch das meines Vaters. Meinen Weg würde der nicht gutheißen, mein Ziel schon. Ich will, dass alle Bretonen in einem starken Land leben, geeint und

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