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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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oft an seine Grenzen gebracht, nun fühlte er sich – trotz der erst kurz verheilten Wunde und den Tagen der Auszehrung – erstaunlich stark. Stolz konnte er dennoch nicht darauf sein. Bei allem, was er tat, fühlte er sich verfolgt – von Erinnerungen an das, was geschehen war, und von dem Wissen, dass er in Jumièges nicht einfach weitermachen konnte, wo er aufgehört hatte.
    Er war erleichtert, als er jetzt endlich zu Godoin gebeten wurde – wie Baudoin, der Schatzmeister des Klosters, ein Mönch aus Cambrai, und sogar noch einflussreicher als dieser, nämlich der Abt. Seit Arvid einige Tage zuvor mit Bruder Dadon in Jumièges eingetroffen war, hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, mit ihm zu reden, und als die anderen Brüder bestürzt gefragt hatten, was nur geschehen sei, warum er so plötzlich aus dem Kloster verschwunden sei und ausgerechnet jetzt wieder zurückkehre, hatte Godoin sie angewiesen, zu schweigen. Offenbar hatte er geahnt, dass Arvid ein paar Tage brauchte, zur Ruhe zu kommen. Und auch, dass mehr hinter seiner Flucht steckte als Hader mit seiner Berufung.
    »Ehrwürdiger Vater.« Arvid verneigte sich tief vor dem Abt.
    Hier in Jumièges gab es noch kein eigenes Abthaus. Godoin schlief wie alle anderen im Dormitorium, das viel zu groß für die wenigen Brüder war, und empfing Gäste und Mitbrüder im Refektorium.
    Godoin sagte eine Weile nichts – was nicht erstaunlich war. Es war ihm eigen, bei jeder Rede lange Pausen einzulegen, und Arvid war sich nicht sicher, ob er ein frommer oder einfach nur wortkarger Mann war. Wahrscheinlich beides – denn jemand, der wenig sagte, sparte auch an falschen, sündigen Worten. Doch was in Godoin tatsächlich die Sehnsucht nach dem frommen Leben gebar, Entrückung, Vorsicht oder nur Feindseligkeit gegen Mensch und Welt, blieb ungewiss.
    Als er weiterhin schwieg, Arvid jedoch aufmunternd zunickte, begann der zu sprechen, und anders als der Abt wog er seine Worte nicht sorgfältig ab. Sie sprudelten nur so über seine Lippen. Der junge Mönch vertraute dem anderen alles, fast alles an. Die Last, die er mit sich schleppte, wurde durch den Redefluss ein wenig leichter, etwas Dunkles fiel von seiner Seele ab. Das Einzige, was er nicht bekennen konnte, war, dass er Mathilda geküsst hatte.
    Warum eigentlich nicht?, fragte er sich selbst erstaunt, nachdem er geendet hatte. Konnte etwas schlimmer sein, als Sohn eines grausamen Heiden zu sein? Und wenn ja, warum ausgerechnet, eine liebenswerte, zarte Frau zu berühren und zu küssen?
    Godoin stellte keine Nachfragen. Es folgte wieder ein langes Schweigen – geboren diesmal nicht aus der üblichen Scheu vor Worten, sondern offenbar aus Angst, das Falsche zu sagen. Zumindest vermeinte Arvid kurz, diese Angst in den sonst ausdruckslosen Zügen des Abtes aufblitzen zu sehen, wenn er auch nicht entscheiden konnte, ob diese seinem nordischen Blut oder den Häschern König Ludwigs galt. Auch wenn die Bretonen im Wald offenkundig hinter Mathilda her gewesen waren, nicht hinter ihm – so hieß das nicht, dass er hier geschützt war.
    Gleiches schien Godoin durch den Kopf zu gehen. »Du kannst nicht bleiben«, sagte er nach der quälend langen Stille.
    »Warum nicht?«, fuhr Arvid auf.
    »Hier bist du nicht sicher.«
    Was der Versuch sein mochte, ihn zu schützen, fühlte sich wie ein Verrat an. Arvid musterte sein Gegenüber genauer, las noch mehr Angst in seinem Gesicht, aber kein Mitleid, keine Sorge um ihn. »Ihr meint – solange ich hier bin, ist die Gemeinschaft nicht sicher. Solange ich hier bin, sind alle von König Ludwig bedroht.«
    Zu seiner Enttäuschung kam Misstrauen. Auch wenn er entschieden hatte, in der Normandie zu leben – Godoin war Franke durch und durch und seinem König womöglich ähnlich gehorsam wie Gott. Doch wenn er die Absicht hätte, ihn Ludwig auszuliefern – würde er ihn dann fortschicken?
    »Ehrwürdiger Vater …«, Arvids Tonfall nahm etwas Flehentliches an und übertönte die Wut, die noch lauter in ihm brodelte als die Furcht vor der Zukunft, »… ich will doch nichts weiter, als Gott zu dienen. Ehe mein Leben bedroht wurde, stand ich kurz davor, die Profess abzulegen.«
    »Mag sein«, erwiderte Godoin, nachdem er Arvid wieder eine Ewigkeit auf die Antwort warten ließ. »Aber dein Geist scheint mir zu aufgewühlt, um Entscheidungen von diesem Ausmaß zu treffen.«
    »Ich soll warten, mein Gelübde abzulegen, obwohl ich nach dem Durchstehen so vieler Gefahren endlich

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