Kinder des Feuers
dass er so wütend klang, als entblöße eine Schwäche Wilhelms, des christlichen Nordmannes, des getauften Heidensohnes, all seine eigenen.
Godoin zuckte die Schultern. »Der Mensch ist ein Sünder. Dass er nicht immer das ist, was er sein soll, heißt nicht, dass er nicht immer wieder gegen das Unrecht kämpft. Wilhelm kann von Sprota nicht lassen, das ist wahr. Aber er umgibt sich an seinem Hof gern mit Mönchen.«
Er sprach den letzten Satz gedehnt – ein Zeichen, dass diesem besondere Bedeutung zukam. Arvid hatte sich nach einem neuen Stein gebückt, nun entglitt jener seinen Händen und fiel ihm fast auf die Füße. Plötzlich wusste er, warum Godoin so viele Worte machte und was er von ihm wollte.
»Nein!«, begehrte er auf. »Ich kann das nicht! Ich will hierbleiben! Hier ist mein Zuhause!«
»Wir Gottesmänner sind auf dieser Welt nirgendwo zu Hause«, sagte Godoin streng. »Unser Leben ist nichts als eine lange, weite, gefahrvolle Pilgerreise. Für unsereins gibt es keinen sicheren Hafen.«
Fassungslos starrte Arvid den Abt an. »Ihr schickt mich an Wilhelms Hof?«, rief er.
»Bedenke, dort wirst du in Sicherheit vor König Ludwigs Schergen sein. Du kannst an Wilhelms Seite ein gottgefälliges Leben führen, kannst das Gute in ihm stärken, kannst zum Heil unserer Gemeinschaft wirken, zum Heil der ganzen Normandie.«
Was schert mich die Normandie?, wollte Arvid aufbegehren – jenes Land, wo erst die Franken Nordmänner wurden und dann die Nordmänner Franken, ein Land, das so zerrissen war wie Wilhelm, der eine Konkubine liebte und zugleich wie ein Benediktiner leben wollte. Ein Land, zerrissen wie er selbst.
Er schüttelte heftig den Kopf.
»Versteh doch«, drängte Godoin, »Wilhelm kann nicht ins Kloster eintreten – also schicke ich das Kloster zu ihm. Du wirst wie andere Mitbrüder von hier sein geistlicher Beistand sein.«
»Aber ich bin nicht einmal geweihter Priester! Ich habe noch nicht einmal die Ewige Profess abgelegt.«
»Eben darum bist du hier verzichtbar. Und du bist unabhängig vom Klerus in Rouen. Du wirst mit ihm beten, wirst ihn über die Heilige Schrift belehren, wirst sein Freund sein. Und du wirst ihn immer wieder daran gemahnen, wie wichtig es für sein Seelenheil ist, den Wiederaufbau Jumièges’ zu unterstützen. Später wirst du hier im Kloster eine große Zukunft haben. Aber zunächst ist es deine Aufgabe, mit ihm in die Welt zu gehen.«
Arvid schloss die Augen, aber er sah nicht Wilhelms Gesicht vor sich. Dieses kannte er aus der Nähe gar nicht. Nein, Mathildas Antlitz stieg vor ihm auf, das Antlitz jener Frau, die er aus seinen Gedanken verbannt wähnte, indem er sie bei Sprota zurückließ. Sprota lebte in Fécamp, und Wilhelm hielt sich nur wenige Monate des Jahres dort auf, aber wenn er zu seinem Gefolge gehörte, würde er ihr wohl oder übel wieder begegnen müssen.
Gott war grausam. Er begnügte sich nicht damit, dass er seine Sünden abbüßte. Er würde ihn wieder und wieder in Versuchung führen.
Wieder einmal erwachte in Arvid blanke Wut. Wenn er sich jetzt nach einem neuen Stein gebückt hätte, er hätte nicht unter seinem Gewicht geächzt, er hätte ihn mühelos hochhalten und werfen können – auf die neu errichteten Mauern, auf Godoin, auf den Klostergarten.
»Arvid«, sagte Godoin eindringlich, »Bruder Arvid! Wirst du tun, was man von dir erwartet?«
Der Stein blieb unberührt, die Wut erkaltete, die Lust an der Zerstörung entsetzte ihn erneut.
»Ich will nie in die Nähe von Sprota kommen«, sagte er trotzig und meinte in Wahrheit in die Nähe von Mathilda.
Godoin lächelte. »Ich bin sicher, der Graf wird das nicht von dir verlangen.«
Drei Wochen waren vergangen seit Hasculfs Versagen. Darüber verbittert war sie nur in der ersten gewesen. Danach hatte Hawisa keine Zeit mehr gehabt, sich zu grämen. Die Boten, die sie nun ausschickte, kamen nicht mit Nachrichten über Mathilda zurück, sondern mit solchen von einem feindlichen Heer, das näher rückte – beauftragt, Widerstandsnester wie das ihre aufzuspüren und niederzumachen.
Die Nachrichten hatten sie mitten in der Nacht erreicht, und die Morgendämmerung war noch nicht angebrochen, als sie die ärmliche Siedlung hinter dem Wall verlassen hatten. Stunden später ging die Sonne auf, sie zogen Richtung Westen, sie waren wieder einmal auf der Flucht.
Hawisa spürte die Sonne nicht. In diesen Tagen blieb es finster in ihr, ähnlich wie zum blinden Dökkur nichts Lichtes,
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