Kinder des Feuers
ansah. Nicht zuletzt deshalb war Gerloc in den letzten Jahren dazu übergegangen, sich nicht nach nordischer, sondern fränkischer Mode zu kleiden, doch in Mathildas Augen blieben ihre Gewänder, was sie waren: zu bunt, zu freizügig, zu schrill.
Mathilda kniff die Lippen zusammen und wandte ihren Kopf zur Seite.
»Lieber Himmel!«, stieß Gerloc aus und verdrehte die Augen. »Wie kann es sein, dass dir so gar nichts an schöner Kleidung liegt? Warum trägst du immer nur dieses schreckliche Schwarz oder Grau? Und warum verbirgst du deine schönen Haare?«
»Schwarz ist die Farbe einer Ordensschwester. Und Schönheit nichts, was ich anstrebe«, gab Mathilda wie immer knapp zurück.
Es war nicht so, dass sie Gerloc verachtete. Trotz aller Oberflächlichkeit war die Schwester Graf Wilhelms eine Frau, die geradeheraus und der Verschlagenheit fremd war, deren Spott zwar oft beißend geriet, aber eine bestimmte Grenze wahrte und die Würde des anderen nicht bedrohte, und an deren Seite sich unterhaltsame Stunden verbringen ließen, hielt sie doch Augen und Ohren offen und wusste eine Menge zu erzählen – ob von hoher Staatsführung oder dem Klatsch der einfachen Weiber. Aber solange Gerloc nicht ihre Eigenheiten respektierte, wollte Mathilda auch an ihren nichts Gutes erkennen.
»Lass sie in Ruhe«, schaltete sich Sprota ein. »Wir wissen, dass du schöne Kleider liebst und Mathilda das Gebet, dass du gern redest und Mathilda das Schweigen vorzieht. Menschen sind verschieden.«
Jenes Urteil hatte Mathilda schon oft aus ihrem Mund gehört. Sprota gehörte zu den Menschen, die mit stoischem Gleichmut hinnahmen, was ihnen das Leben vorsetzte.
Am Anfang hatte Mathilda sie verachtet, weil sie nur Konkubine, nicht Gattin des Grafen war. Doch Sprota war ein Mensch, der jedwede Verachtung so beharrlich ignorierte, dass der, der sie empfand, sie schließlich selbst vergaß. Mathilda war sich nicht sicher, ob sie sich ihren nüchternen Blick auf die Welt lange und mühsam erworben hatte oder dieser ein ihr angeborenes Vermögen war, und manchmal war sie neidisch auf so viel Gleichmütigkeit.
Gerloc wollte zur Entgegnung ansetzen, wurde jedoch von einer aufgeregten Stimme unterbrochen. Richard kam in den Raum gestürmt, die Augen funkelnd wie stets und die Wangen apfelrot vor Aufregung. »Ich bin über das Gatter gesprungen, und dieses war so hoch.« Er hob die Hand weit über seinen Kopf. »Beim ersten Anlauf hat das Pferd gescheut, aber als ich ihm die Sporen gab, konnte es nicht anders, als zu springen.«
Übereifrig sprudelte es aus ihm hervor – wie so oft, wenn er vom Reitunterricht erzählte. Schon im Alter von vier Jahren hatte er – wie es für fränkische Knaben seines Ranges üblich war – zum ersten Mal auf einem Pferderücken gesessen. Mittlerweile lernte er, auf dem Pferd zu kämpfen und Hindernisse zu überwinden.
Sprota strich ihm liebevoll über die Haare. »Gemach, gemach, man versteht ja kein Wort.«
Richard zog hastig den Kopf weg. Er wähnte sich zu groß, um sich noch länger von seiner Mutter streicheln zu lassen. Aus dem pausbäckigen Kind, das Mathilda einst in Fécamp kennengelernt hatte, war ein dürrer Knabe geworden.
Dieser fuhr hastig fort, die Sprache der Franken mit der der Dänen mischend. Letztere zu erlernen war der Grund gewesen, warum sie Fécamp verlassen und nach Bayeux gezogen waren. Auch wenn Wilhelm und Gerloc alles nachahmten, was fränkisch war, lebten in der Normandie viele Menschen, die sich nach den Sitten und Bräuchen des Nordens richteten, und als zukünftiger Graf sollte er wissen, wie man zu ihnen sprach. In Fécamp beherrschte keiner mehr die danisca lingua – sie war nur mehr in westlicheren Regionen wie rund um Bayeux in Gebrauch.
Damit nicht zu viel des nordischen Geistes sein Gemüt prägte, erhielt Richard zugleich Unterricht beim Bischof von Bayeux, der ihn einst getauft hatte. Des Kindes Geist war wach genug, um diese Stunden zu ertragen, doch insgeheim war Richard hungrig nach Bewegung, genoss alles, womit sich Mut und Kraft beweisen ließen, und zeigte keinerlei Ansätze, dass er so fromm werden würde wie sein Vater, den er nur selten sah.
Mathilda lauschte aufmerksam – nicht, weil sie sich für den Reitunterricht, sondern für die dänische Sprache interessierte. Zu ihrem Erstaunen verstand sie diese ebenso wie die bretonische, auch wenn sie sich hartnäckig weigerte, die eine oder andere zu gebrauchen. Es schien ihr irgendwie … verboten, Worte
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