Kinder des Feuers
»Noch« gefügt hatte, durchaus mehr hatte haben wollen, noch mehr von Wilhelms Liebe nämlich, vor allem in jener ersten Nacht, die sie bei ihm verbracht hatte, eine leidenschaftliche, lustvolle Nacht, in der sie gehofft hatte, sie könnte in seinen Armen eine Heimat finden. Doch er hatte sie nicht lange genug in diesen Armen gehalten. Viel zu rasch hatte er sich erhoben, zu Gott gebetet und ihn um die Vergebung der Sünde angefleht, die er mit ihr, Sprota, begangen hatte. Und sie hatte sich nicht länger geliebt und begehrt und geborgen gefühlt, sondern nur klamm und einsam und heimatlos wie nie.
Doch Mathilda wusste nichts davon und suchte deshalb nicht nach jenem verstörten jungen Mädchen von einst in ihren Zügen. »Du hast gewiss Recht«, sagte sie nur.
Arvid hörte Graf Wilhelm aufmerksam zu, als dieser sich mit seinen politischen Ratgebern besprach. Für gewöhnlich interessierte ihn das keineswegs, und die Worte rauschten an ihm vorbei, betrafen sie doch die Normandie, den Grafen, seine Familie und die Menschen hier – jedoch nicht ihn. An diesem Tag hingegen saugte er die Worte förmlich auf, er brauchte etwas, um seinen Geist abzulenken und seine Erinnerungen zum Schweigen zu bringen – Erinnerungen an die Zeit drei Jahre zuvor, da er mit Mathilda durch den Wald geflohen war, aber auch Erinnerungen an den heutigen Morgen, als er ihren Leib kurz so fest an sich gedrückt hatte wie damals. Und als er kurz dem Wahn erlegen war, die vergangenen Jahre hätten nicht länger gewährt als die Dauer eines Wimpernschlags, wären ganz und gar bedeutungslos. Was konnte auch Sinn ergeben ohne … sie.
Er schüttelte den Kopf und versuchte, nicht an Mathilda, sondern an Gerloc zu denken, über deren Heirat mit Wilhelm Werghaupt eben gesprochen wurde. Er kannte Gerloc kaum, aber Frauen wie sie, die das Herz auf der Zunge trugen, ließen sich schon nach wenigen Begegnungen einschätzen. Demnach war sie sehr selbstbewusst, etwas dreist, meist aufdringlich und laut, aber alles in allem freundlich.
Ob sich Wilhelm Werghaupt, der mächtige Graf von Poitou, so eine Frau wünschte? Und warum trug er diesen lächerlich anmutenden Beinamen? Er hatte keine Ahnung, und die engsten Vertrauten des Grafen sprachen den Namen ohne Anflug von Grinsen aus, offenbar, weil sie ihn zu oft gehört hatten, um noch darüber zu spotten.
Drei waren es, die bei fast keinem Gespräch fehlten: Bernhard, den man den Dänen nannte, weil er von dort stammte, ein gewissenhafter Mann, streng zu sich und anderen und ein Liebhaber scharfen Verstands, der stets am meisten wusste – von dem, was in der Normandie vorging, ebenso wie von allen Ereignissen in deren Nachbarländern. Außerdem Botho, den man wie Bernhard den Dänen nannte, der allerdings viel rotgesichtiger war als dieser, was bewies, dass er nicht ganz so streng mit sich war, sondern den Freuden des Lebens gegenüber durchaus offen stand. Er war der Pate des kleinen Richard, mit dem er oft Kämpfen und Reiten übte, und gehörte nicht zur ersten Generation seiner Familie, die Wilhelm diente. Sein Vater – Botho geheißen wie er – war bereits ein Gefolgsmann von Wilhelms Vater Rollo gewesen. Über das leibliche Wohl des kleinen Richard wiederum wachte Osmond de Cent-Villes, der Jüngste in dieser Runde und der Hitzköpfigste. Osmond kämpfte lieber, als dass er redete, so wie Wilhelm lieber betete, als dass er herrschte – aber der eine wie der andere musste seine wahre Natur zügeln und ob seines Amtes unliebsame Pflichten erledigen.
Zu diesen Pflichten gehörte es nun, Gerloc zu verheiraten – und das mit größtmöglichem politischen Nutzen. Ob Wilhelm Werghaupt Letzteren tatsächlich erfüllte, schien noch nicht klar.
»Werghaupt ist ein Feind von Hugo dem Großen. Ist es wirklich klug, gerade mit ihm eine so enge Verbindung einzugehen?«, fragte Botho eben.
Wilhelm schwieg. Er schwieg meistens – genauso wie Arvid. Wie so oft war es Bernhard, der antwortete und sorgfältig die Argumente abwog: »Das muss uns nicht interessieren – nicht zuletzt, da sich König Ludwig immer mehr von Hugos Einfluss befreit. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, ihm unsererseits Grenzen aufzuzeigen, auf dass wir, was Stärke und Selbstbewusstsein anbelangt, nicht hinter dem fränkischen König zurückstehen.«
»Und Hugo wird sich hüten, die Feindschaft eskalieren zu lassen. Im Gegenteil – wenn wir die Verlobung in der neuen Burg von Lyons-la-Forêt besiegeln, wird er es sich nicht
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