Kinder des Feuers
bloß die Übelkeit verstärkt. Auch so litt Mathilda bald an Schmerzen im Rücken und einem flauen Magen. Um frische Luft zu schnappen, streckte sie ihren Kopf durch eine kleine Luke nach draußen. Seit Ewigkeiten hatte sie keinen so dichten Wald mehr gesehen wie jenen, durch den sie alsbald kamen, hatte nicht die würzige Erde gerochen, sich nicht vor der Dunkelheit inmitten hoher Bäume gegruselt. Nicht mehr, seit sie mit Arvid durch einen ähnlichen Wald geflohen war, nicht sicher und warm in einem Gefährt, sondern frierend und zu Fuß … Sie schüttelte sich und befahl sich, besser Gerloc zu lauschen.
Für diese war die Reise offenbar kein Ungemach. Sie redete in einem fort über das, wovon sie am meisten verstand – von Mode und Frisuren und Kleidern.
»Fränkische Bräute kleiden sich am Tag ihrer Hochzeit in Rot … also werde auch ich Rot tragen. Aber wie denkst du, soll ich mich kleiden, wenn ich Wilhelm Werghaupt zum ersten Mal sehe? Werde ich ihm wohl gefallen?«
Es klang kokett – jedoch auch ein wenig ängstlich.
»Du hast ihn noch nie gesehen?«, fragte Mathilda.
»Natürlich nicht! Wie hätte das möglich sein sollen, wenn er in Poitiers lebt – ich hingegen in Fécamp oder Bayeux.«
»Und dennoch freust du dich, ihn zu heiraten … Er ist ein Fremder. Hast du … hast du keine Angst?«
Selten hatte Mathilda so vertraulich mit Gerloc gesprochen. Das übliche Geplänkel beschränkte sich auf Äußerlichkeiten, nicht auf Gefühle.
Gerloc schien es ihr aber nicht übel zu nehmen. »Er ist Franke, er ist mächtig – warum sollte ich Angst haben?«, fragte sie zurück.
Mathilda schwieg. So unerträglich ihr selbst der Gedanke war, einem fremden Mann zu gehören – zugleich dachte sie, dass schließlich auch Männer, die einem vertraut waren, sich als Fremde gebärden konnten. Jemanden mehrmals getroffen zu haben bedeutete noch nicht, ihn zu kennen, und vielleicht war es deshalb sogar besser, wenn Gerloc nicht zu viel von ihrem künftigen Mann wusste.
Die Übelkeit hielt an, aber sie streckte ihren Kopf kein weiteres Mal durch die Luke, sondern schlug vielmehr den Ledervorhang davor, um nichts mehr vom Wald zu sehen.
»Ich hoffe, du wirst glücklich an seiner Seite«, murmelte sie.
»Wenn ich nicht länger Gerloc bin, werde ich glücklich sein«, gab die andere ungewohnt ernst zurück.
Die Dämmerung hatte sich über das Land gesenkt, als sie nach einigen Tagen endlich ankamen. Nach der anstrengenden Reise schmerzten Mathildas Knochen so sehr, dass sie sich kaum noch regen konnte. Die letzte Wegstrecke hatte durch dichten Wald geführt. Nun lichteten sich Eichen, Buchen und Ahornbäume und gaben den Blick auf eine Burg mit ihren dicken Mauern frei. Die Wände, aus Baumstämmen, zwischen die man Erde gefüllt hatte, errichtet, waren ebenso hoch wie stabil und schienen dem pfeifenden Wind mit Leichtigkeit zu trotzen.
Mathilda konnte es kaum erwarten, ins Warme zu kommen. Sobald sie in das Frauengemach geführt worden waren, stürzte sie zur Feuerstelle und fühlte gleich, wie sich sämtliche wehen Glieder ob der Hitze entspannten. Gerloc hingegen blickte sich neugierig um. Sie hatte erwartet, hier den hochwohlgeborenen Frauen fränkischer Adliger zu begegnen, doch niemand war zu sehen. Die Magd, die sie herbegleitet hatte, erklärte bald, dass die meisten der Herren ihre Gattinnen nicht mitgebracht hatten – weder König Ludwig, der seit kurzem mit Gerberga verheiratet war, noch Hugo der Große, dessen Frau Hedwig eben eine Tochter geboren hatte. Herbert von Vermandois’ Frau Hildebrante war schon lange tot, und seine Tochter Lieutgarde blieb diesem Treffen aus gutem Grund fern.
»Gewiss will sie meinem Bruder nicht begegnen, wo doch die Eheschließung mit ihm seinerzeit gescheitert ist«, erklärte Gerloc.
Was immer die Gründe waren, warum sie hier vorerst unter sich waren – Gerloc war enttäuscht, mit ihrer Kleidung und ihrem Schmuck nicht vor den fränkischen Edelfrauen prahlen zu können. Doch wie es ihrem Gemüt entsprach, ließ sie sich die Enttäuschung nicht anmerken. Sie öffnete die kleinen Truhen und Kästchen, in der ihr Geschmeide verpackt war – Ohrgehänge aus Rosenquarz, eine mondsichelförmige Fibel, mit Bernstein besetzte Riechfläschchen, die am Gürtel angehängt wurden, silberne und bronzene Armbänder und eine rubinrote Halskette – und überlegte, für welchen Anlass sie welches Juwel tragen könnte. Dann ging sie daran, ihre Kleider zu durchwühlen –
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