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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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plötzlich verloren. Am liebsten hätte sie sich in einer Ecke des großen Saals verkrochen, doch dort hockten schon die Krieger im Gefolge der mächtigen Männer, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als an der Tafel Platz zu nehmen. Wieder fiel ihr Blick auf den jungen Johan, der sie zu sich winkte, und weil sie ihn kannte und er freundlich wirkte, setzte sie sich zu ihm. Wie Werghaupt es für Gerloc getan hatte, schnitt er ihr das Fleisch klein, dessen Auswahl überreich ausfiel. Es gab gebratene Gänse mit Kümmel und Pfeffer gewürzt und mit Edelkastanien gefüllt, halbe Schweine mit krosser Haut, Rindfleisch, in einem Sud aus Bohnenkraut, Kerbel und Liebstöckel gesotten, mit Rosmarin verfeinerten Lammbraten. Später wurden Feigen gereicht, Quitten und Pfirsiche, Hasel- und Walnüsse und obendrein Kerne einer Nuss, wie sie Mathilda nicht kannte.
    »Das sind Mandeln!«, erklärte Johan, der sich am reichen Mahl ebenso erfreute wie an ihrer Gesellschaft. »Sie kommen aus dem Süden und werden nur zu besonderen Anlässen serviert.«
    Mathilda hatte keinen solchen Appetit wie Johan, aber die Hitze des Saals machte sie durstig, und sie trank mehr von dem süßen Brombeerwein, der nebst Apfel- und Birnenmost den Frauen gereicht wurde, als es ihr guttat. Schon nach kurzer Zeit schwindelte es ihr, und als Johan ihr zurief, dass es auch Stutenmilch gebe, eine besondere Delikatesse, wie sie sich nur sehr reiche Männer leisten könnten, glaubte sie statt einem Gesicht derer zwei zu sehen. Sie blinzelte, atmete tief ein. Die beiden Gesichter vereinten sich zu einem, und sie sah auch wieder den Lautenspieler klar, der eben begann, sein Instrument zu spielen. Die ersten Takte waren kaum erklungen, als Gerloc und Wilhelm Werghaupt sich schon erhoben, um dazu zu tanzen.
    Mathilda sah, dass Gerlocs Augen fiebrig glänzten, aber sie lachte nicht mehr laut, wie sie es sonst zu tun pflegte, sondern lächelte nur auf eine fremd anmutende Weise. Weil sie nach all der Aufregung müde war? Oder weil eine Frau an der Seite eines mächtigen Franken nicht laut lachen durfte? In jedem Fall schien sie glücklich, wenngleich es ein Glück war, auf das Mathilda gern verzichtete. Viel zu heiß musste Gerloc das Blut durch die Adern rinnen, noch heißer als der Brombeerwein.
    Als Wilhelm Werghaupt mit Gerloc nach dem Tanz zurück zum Tisch kehrte, kam diese an ihr vorbei und neigte sich rasch zu Mathilda herunter. »Er gefällt dir doch?«, raunte sie ihr ins Ohr.
    »Wilhelm ist gewiss ein guter Mann …«
    »Ich meine nicht meinen Verlobten, sondern … ihn.«
    Gerloc zwinkerte Mathilda vielsagend zu, ehe ihr Blick auf Johan fiel. Bis Mathilda erfasste, was sie meinte, war die Schwester des Grafen schon wieder zu ihrem Platz gehuscht, und sie konnte ihr nicht mehr widersprechen und empört bekunden, dass sie keinen Mann begehrte, sondern ins Kloster zu gehen beabsichtigte.
    Mathilda wollte nicht länger bei Johan sitzen und Brombeerwein trinken, und so erhob sie sich hastig, erneut von einem Schwindel übermannt. Doch so verschwommen das Bild vor ihren Augen auch war und so schwer ihr Kopf sie deuchte – etwas anderes fühlte sie mit ganzer Klarheit: dass jemand sie anstarrte und seinen Blick wieder und wieder über ihre Gestalt schweifen ließ.
    Sie fuhr herum – Johan stopfte begeistert neuen Gänsebraten in sich hinein, Gerloc lächelte ihrem Verlobten zu, der Lautenspieler strich über die Saiten. Nein, keiner von diesen achtete auf sie, auch die versammelten Mächtigen waren für eine wie sie blind. Wessen Augen bohrten sich da in ihren Rücken?
    Kalter Schweiß brach ihr aus.
    Arvid … vielleicht war Arvid doch da.
    Aber als Mathilda sich erneut umblickte, sah sie weit und breit keinen Mann in Mönchskutte. Wer immer sie anstarrte – Arvid war es nicht, und da sie sonst niemanden kannte, kam sie zum Schluss, dass es eine Täuschung war und dass es Zeit wurde, sich zurückzuziehen und beim Gebet ihrer Sinne wieder Herr zu werden. Sie durfte nie mehr so viel Wein trinken.
    In den nächsten beiden Tagen wurde viel gegessen, viel getanzt, viel musiziert und gejagt. Zeitig am Morgen rückten die Männer aus und kehrten erst wieder, wenn die Sonne den höchsten Stand erreicht hatte – verlegen die, denen das Jagdglück nicht so hold war und die nur kleinere Tiere, Marder, Otter und Biber, zu ihrer Beute zählen konnten, stolz jene, die ein größeres wie den Rothirsch oder das Wildschwein erlegt hatten. Rot waren die Gesichter aller,

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