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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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die Wellen schlugen nicht laut und wild gegen den Strand, sondern verkamen zu einem Flüstern. Manchmal hasste sie den Anblick des Meeres. Dann dachte sie wieder, dass das Meer ihr immerhin den Mann geschenkt hatte, für dessen Vermächtnis sie so erbittert kämpfte. Sie sprach seinen Namen so gut wie nie aus, zu schmerzhaft war es, auch nur an ihn zu denken. Aber jetzt sann sie darüber nach, wie er einst auf einem Drachenschiff gekommen war, um dieses Land zu seinem zu machen.
    Wenn er gewusst hätte, was ihn erwartete und dass sie in dem Land nun eine Getriebene und Heimatlose war – wäre er wieder umgekehrt, ehe er das Ufer betreten hatte? Und wenn er dabei sehen würde, wie sie seit Jahren vergeblich versuchte, Mathildas habhaft zu werden – würde er sie tadeln oder bemitleiden? Nun, vielleicht nutzte Hasculf die neue Chance.
    Hawisa starrte wieder auf die Fluten. Als Kind hatte sie gehört, dass im Meer Kerr Anna wohnte – die Meeresgöttin der Kelten. Eirinn hatte ihr das erzählt, eine treue Freundin, die zwar kaum älter war als sie und dennoch mehr Geschichten gekannt hatte. Immer noch war sie eine treue Gefährtin und eine der wenigen Frauen in Hawisas Gefolge.
    Hawisa drehte sich nach ihr um. Eirinn ritt ganz hinten, hatte ihren Kopf gesenkt und lauschte nicht auf Kerr Annas Flüstern. Schon seit Jahren erzählte sie keine Geschichten mehr. Hawisa konnte sich nicht erinnern, wann genau sie damit aufgehört hatte – ob damals, als der Mann vom Drachenschiff in ihr Leben getreten war, oder erst einige Jahre später, als sie alles verlor, wofür sich zu leben gelohnt hatte – ausgenommen den Willen, es sich zumindest in Teilen zurückzuerobern.
    Hawisa wusste, Eirinn hieß ihre Pläne nicht gut, aber sie war eine treue Seele, treuer als andere Gefährtinnen ihrer Kindheit, die sie verlassen und verraten hatten, und Hawisa war dankbar, jemanden in der Nähe zu wissen, der sie ihr ganzes Leben begleitet und sämtliches Glück und Leid mit ihr geschmeckt hatte, wobei das Leid immer größer und lauter gewesen war als das Glück. Nur selten fragte sie sich, welchen Nutzen Eirinn noch für sie hatte, wo sie doch keine Geschichten mehr erzählte und daran deutlich wurde, dass zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit ein großer Graben klaffte.
    Dökkur schloss zu ihr auf. Auf dem Pferderücken war er sicherer unterwegs als zu Fuß, denn das Pferd sah den Weg und stolperte nicht.
    Was wohl geschehen wäre, dachte sie plötzlich, wenn Dökkur einst nicht den Franken unterlegen, von ihnen erst geblendet und dann auch noch kastriert worden wäre, damals, bei einem Aufstand der Christen gegen ihre heidnischen Herren? Hilflos wie er war, hatte er sich auf ihre Seite geschlagen. Könnte er jedoch noch sehen und wäre er noch ein ganzer Mann – so würde er sie gewiss töten. Vielleicht zuvor noch schänden. Aber er würde ihr keine Macht über sich zugestehen.
    »Ein Bote kommt!«, verkündete Dökkur, dessen Ohren mehr und früher etwas hörten als ihre.
    Tatsächlich erklang bald das Getrappel von Pferdehufen. Hawisa hielt den Zug an, nahm vom Boten eine Nachricht entgegen, brach das Siegel und las schweigend.
    Sie seufzte tief.
    »Ist die Botschaft von Hasculf?«, fragte Dökkur.
    Bruder Daniel lachte. Ihm war der Zweifel in Dökkurs Stimme wohl nicht entgangen, die heimliche Hoffnung, dass Hasculf scheitern möge. Zwar würde das die eigenen Pläne zunichtemachen, aber ihn besser ertragen lassen, dass Hasculf noch sein Augenlicht, seine Männlichkeit und obendrein seine Jugend besaß.
    »Ja«, sagte Hawisa grimmig, »ja, die Botschaft ist von ihm.«
    Insgeheim hasste sie Dökkur nicht weniger als er sie. Doch Dökkur war der Bruder des Mannes vom Drachenschiff gewesen, und da sie diesen Mann geliebt hatte wie keinen anderen, war ihr Schicksal mit dem seines Bruders verbunden. Er hatte mit ihm die Kindheit in Vestfold am Oslofjord verbracht, er war mit ihm in die Bretagne aufgebrochen, er hatte gemeinsam mit ihm Kirchen gestürmt, Priester abgeschlachtet und Wein getrunken, der für die Messfeier vorbereitet worden war. Sie hatten Bischof Adalard mitten in der Nacht aus Nantes vertrieben, der nicht mal mehr Zeit gehabt hatte, einen wärmenden Pelz über die Schultern zu ziehen und sich ein juwelenbesetztes Kreuz umzuhängen. Er hatte nur ein Nachthemd getragen. Manche behaupteten sogar, er sei nackt gewesen.
    Von Nantes aus hatten die Männer von den Drachenschiffen die Städte und Dörfer an der Loire

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