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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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fremden Blick weiter auf sich ruhen, abschätzend, bösartig. Sie versuchte, etwas zu erkennen, doch das Einzige, was sie sah, waren die Rauchschwaden.
    »Wer ist da?«, rief sie in das wabernde Grau hinein. Kurz nur war der Weg, der ins Freie führte. Dennoch fühlte sie sich in dem Gang gefangen, einer unsichtbaren Gefahr ausgeliefert, die hier irgendwo lauerte.
    Keine Antwort.
    Mathilda atmete durch, entschied, dass sie erneut einem Trugbild aufgesessen war. Sie wollte gerade weitergehen, da hörte sie eine Stimme, die ihren Namen raunte.
    »Mathilda …« Immer wieder ertönte es: »Mathilda … komm mit.«
    Die Rauchschwaden wurden dichter, die Welt schien sich darin aufzulösen, die Mauern drohten zu schwanken. Winzig klein war das Fleckchen, auf dem sie sicher stehen konnte, bedrohlich die Stimme, die ihren Namen flüsterte und sie weglocken wollte.
    Sie schien nicht aus der Kehle eines Menschen zu kommen, der aus Fleisch und Blut bestand, eher von einem Geist. Klar verständlich waren die Worte dennoch.
    »Mathilda … Mathilda … komm!«
    Gehörte sie einer Frau oder einem Mann? Klang sie freundlich oder feindselig? War Mathilda in höchster Gefahr oder doch in Sicherheit? Solange sie ins Graue starrte, das sämtliche Grenzen zerfließen ließ, war es schwer, eine Entscheidung zu treffen.
    Dann plötzlich wurde ein zweiter Name genannt.
    »Hawisa …«
    Die Brust drohte Mathilda zu zerspringen. Weil sie den Namen nie gehört hatte, seit sie im Kloster lebte. Weil er ihr dennoch nicht fremd war. Weil er Erinnerungen weckte, stärker als alle Träume, und weil diese Erinnerungen … gefährlich waren. Sie durfte nicht darin graben, sie würde sterben, wenn sie es täte. Ja, das hatte ihr jemand einst eingebläut: »Du darfst niemandem sagen, wer du bist, hörst du? Du musst es vergessen.«
    »Warum nicht?«, hatte sie gefragt. Sie war noch so klein, so hilflos gewesen, sie hatte solche Angst gehabt. »Warum denn nicht?«
    »Du bist in größter Gefahr. Sie wird nicht ruhen, bis sie dich gefunden hat. Gefunden und …« Ihr Gegenüber war verstummt, aber sie hatte gewusst, was gemeint war. Gefunden und … getötet.
    Wer war sie? Die Frau, die Hawisa hieß? Und die Stimme, die zu ihr flüsterte – gehörte sie einem, den diese Frau geschickt hatte?
    Tränen stiegen hoch, wie blind wankte Mathilda weiter, stieß gegen eine der Mauern. Die Welt hatte sich doch nicht im Grau aufgelöst, wurde vielmehr kleiner und enger. Die Decke schien auf sie zu fallen, kalter Stein sie zu zermahlen.
    »Mathilda … komm zu mir …«
    Grau, überall Grau … und überall Erinnerungen, die plötzlich aus dem Grau erstiegen.
    Noch lief sie glücklich über die Blumenwiese, noch fing der blonde Mann sie auf und warf sie in die Luft. Doch als er sie dann losließ und sie allein zurückblieb, verlor die Wiese ihre Farben. Ein großes, dunkles Tor ragte vor ihr auf, sie wurde hindurchgeführt, das Tor schloss sich, jemand schob den Riegel vor.
    Ich bin eingesperrt, alles ist vorbei … von nun an bin ich eine Gefangene … ich werde nie wieder glücklich werden … ich habe ihn für immer verloren.
    Sie durfte nicht einmal an ihn denken, musste ihr altes Leben ablegen wie ihre Kleidung. Ja, jemand zerrte ihr das Hemd vom Leib, zog ihr etwas anderes über, der Stoff kratzte, sie wehrte sich, schlug, biss um sich. Schließlich bekam sie einen Schlag auf die Wange.
    »Sie ist so widerborstig«, sagte jemand. Sie kannte diese Stimme nicht.
    »Kein Wunder«, vernahm sie eine andere Stimme, auch die war ihr fremd. »Du hast doch gehört, wer ihr Vater ist.«
    »Wir müssen ihr alles austreiben, was an ihn erinnert.«
    Sie verstand es nicht, sie wollte es nicht verstehen! Warum austreiben? Ihr Vater war der blonde Mann, der sie beschützte, ihr Geschichten erzählte, sie in die Luft warf … Warum hatte man Angst vor ihm, warum hielt man ihn für böse, gefährlich, warum waren diese fremden Frauen so grob zu ihr? Weit und breit war da kein vertrautes Gesicht, nur eines, das sie freundlich anblickte, das von Maura, der später engsten Gefährtin, aber die war selbst noch ein kleines Mädchen, ängstlich und verstummt. Die raue Kutte schnürte sie ein. Gleich ersticke ich, dachte sie, gleich ersticke ich.
    Doch sie atmete weiter – sowohl damals, als man sie ins Kloster gebracht hatte, als auch heute, da sie der fremden Stimme folgte.
    Mathilda drehte sich im Kreis, dann begann sie zu laufen, an Mauern entlang, durch eine Tür hindurch,

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