Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
selbst und vor allem ihr.
    »Es tut mir leid«, murmelte er. »Es tut mir unendlich leid.«
    Er konnte es nicht rückgängig machen, aber er konnte die Nähe, vor der er damals geflohen war, heute ertragen, ja, sogar suchen. Und nirgendwo ließ sie sich besser erspüren als an einem Ort wie diesem, einfach und verschmutzt zwar, aber von der Welt abgeschieden wie eine Lichtung im Wald.
    Nun war er es, der die Hände hob, vorsichtig über ihre Schultern strich, sie schließlich an sich zog, um sie zu wärmen wie einst.
    »Ich habe heute mehr getrunken als je zuvor«, murmelte er.
    »Ich auch.«
    »Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne.«
    »Ich auch nicht.«
    War sein Gesicht so rot wie ihres? Ahnte er, dass er, wenn er sie küsste, sich heute nicht damit begnügen konnte?
    Angst stand in ihrem Gesicht, aber sie floh nicht. Angst überkam auch ihn, aber er schloss die Augen, beugte sich zu ihr herab und küsste sie.
    Sie wusste nichts von körperlicher Lust, außer dass sie eine Sünde war. Sie wusste nichts vom Körper eines Mannes, außer dass von einem solchen Gefahr drohte. Doch obwohl sie so wenig wusste, war der Weg, den sie beschritten, vertraut. Ihn einzuschlagen fühlte sich weder wie eine Sünde noch wie eine Gefahr an. Die Sünde glich einer Schlange, doch Arvid war nicht falsch wie eine solche. Die Sünde war giftig, doch seine Küsse schmeckten wie Honig. Die Sünde riss in die Hölle, wo es lodernd heiß war – sie aber schwitzte nicht. Sie sank mit ihm zu Boden, scheute Staub und Schmutz nicht. Nichts, was sie mit ihm tat, nichts, was sich so gut anfühlte, konnte schmutzig sein.
    Er war die Angst nie losgeworden, die Angst vor sich, seinem Erbe, vor ihr. Nun legte er sie ab wie seine Kutte und war erstaunt, dass es so leicht ging und das, was achtlos zu Boden fiel, so nichtig war. Die Kleidung des Mönchs war ihm Schutz und Schirm gewesen, doch Mathilda richtete keine Waffe auf ihn, die es abzuwehren galt. Ihre Lippen waren nicht bedrohlich, ihre vorsichtig tastenden Hände und ihre weiche Haut auch nicht, vor allem nicht die Unbeirrbarkeit, mit der sie sich an ihn drückte und die Fragen übertönte: Was tue ich, warum widerstehe ich nicht?
    Nein, er erlag keiner Versuchung. Er vollendete, was einst im Wald begonnen hatte. Er fühlte in ihr die eigene Zerrissenheit, doch weil sie sich vereinten, wuchs das Zerrissene zusammen und wurde aus allen Halbheiten ein Ganzes.
    Es geschah ohne Hast. Die Geschichte ihres Lebens wurde nichtig, als sie sich entkleideten, Säcke unter sich ausbreiteten, um den kalten Boden nicht zu spüren, als sie seine nackte Haut erst vorsichtig streichelte, sich dann an ihm rieb. Was sie drängte und führte, war ein wohliges Feuer in der Leibesmitte, ein Feuer, das ihr hektischer Atem nicht auszublasen vermochte, sondern nur noch weiter entfachte, das nicht verlosch, als er sich auf sie legte, und das selbst dann noch weiterbrannte, als es zwischen ihren Beinen feucht wurde. Das Feuer breitete sich aus, raste durch ihre Adern von den Zehen bis zum Kopf, ein endloser Fluss, der sich aus aufgestauter Sehnsucht nährte.
    »Mathilda«, raunte er ihren Namen, »Mathilda.«
    Es war das einzige Wort, das er noch kannte, und schließlich verlernte er auch das. Die Sprache, in der sie redeten, wurde nunmehr von ihren Leibern diktiert, und gemeinsam begnügten diese sich nicht damit zu flüstern, sondern sangen einen meisterhaften Choral. Sie öffnete sich ihm, zog ihn auf sich, und während er noch dachte, dass er nicht wusste, was zu tun war, tat er es schon. Dann überließ er sich dem Takt ihres Begehrens, der älter als der seines Herzschlags war, lauter und bestimmender. Aus der Tiefe einer Erde kam er, die vom Menschen nichts erwartete außer Fruchtbarkeit und deren Kreislauf aus Werden und Vergehen beständiger war als alle vom Menschen verkündeten Gebote.
    Es tat so gut, sich ganz in ihr zu versenken, ihre Wärme zu spüren, in ihr zu zerfließen, bis nichts mehr von ihm da war. Erst hinterher merkte er, dass seine Glieder schmerzten.
    Er glitt von ihr herunter, stand aber nicht auf, sondern zog sie an sich. Sie lagen nackt. Um nicht darüber nachdenken zu müssen, was sie getan hatten, schliefen sie ein.
    Sie lag noch zusammengerollt am Boden, und Arvids Arme ruhten schwer auf ihr, als das Licht sie traf. Es war ein seltsames Licht, nicht grell wie das der Sonne, nicht rötlich matt wie das einer Fackel, eher bunt, als schiene es durch gebrochenes Glas. Sie rieb sich die

Weitere Kostenlose Bücher