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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sie ihm nie richtig dafür gedankt hatte, dass er zwei Mal ihr Leben gerettet hatte, und dass sie ihm nie gesagt hatte, dass sie ihn liebte. Und sie musste ihn doch lieben, zumindest, wenn Liebe bedeutete, dass man im letzten Augenblick seines Lebens an einen bestimmten Menschen denkt. Sie hatte an ihn gedacht, als jener Hasculf sich über sie beugte, als sie im Bach zu ertrinken drohte, als sie durch den Wald floh.
    Gestorben war sie dennoch nicht, all jene Augenblicke waren also nicht ihre letzten gewesen. Sie würde weiterleben, in dem Kloster dort, und es würde ihr nur gelingen, wenn sie ihre Liebe zu Arvid hier am Strand zurückließ und nicht mit in jene Mauern nahm.
    Ihr Magen verkrampfte sich vor Hunger, ihre Lippen waren trocken und rissig, weil sie so lange nichts getrunken hatte, Möwen kreischten über sie hinweg. Sie verabschiedete sich von Arvid, und sie weinte.
    Abt Martin von Jumièges unterschied sich in vielem von Godoin – er legte größeren Wert auf Annehmlichkeiten, führte die Mönche mit strengerer Hand und hatte ehrgeizigere Pläne. Aber auch er war kein Meister des Wortes: Er sprach selbst nicht viel und sah gern, dass andere schwiegen.
    Als Arvid aus Rouen eingetroffen war, zum einen verkündet hatte, wieder in der Mönchsgemeinschaft leben zu wollen, zum anderen, dass er sich immer noch als einfacher Novize sah und noch nicht würdig für die Profess, hatte er keine Fragen gestellt. Vielleicht dachte er insgeheim, dass es für einen, der so lange in der Welt gelebt hatte, schwer war, wieder von ihr zu lassen. In jedem Fall machte er es ihm nicht zum Vorwurf und erklärte, er solle sich Zeit nehmen und zur Ruhe kommen.
    Arvid hätte gerade auf Zeit gern verzichtet. Das Leben, das vor ihm lag, erschien ihm eintönig und unermesslich lang. Erst jetzt erkannte er, dass er, der sich nie sonderlich für die Staatsführung interessiert hatte, die vielen Reisen in Wilhelms Gefolge, die steten Neuigkeiten, die dieser erhalten hatte, und die vielen Besprechungen mit den Beratern, die darauf gefolgt waren, insgeheim genossen hatte. Das Gleichmaß der Tage säte Unruhe in ihm, und darum war er über die Ablenkung erfreut, als Abt Martin ihn eines Tages zu sich bat, um ihn zu befragen – nicht nach dem, was in seinem Kopf vorging, sondern bezüglich einer Nachricht, die er erhalten hatte und die Arvid vielleicht besser als er einzuschätzen vermochte.
    Etwas erwachte in Arvid, was er nicht recht zu deuten wusste, etwas Heißes, Leidenschaftliches, vor allem die Inbrunst der Jugend. So war er früher nicht gewesen. Schon als Kind hatte er sich irgendwie erwachsen gefühlt, und später hatte er nie die anderen Novizen verstanden, die tuschelten, wenn sie schweigen sollten, lachten, obwohl das verboten war, und sich bei Schreibübungen Nachlässigkeiten erlaubten, anstatt sich ganz und gar zu konzentrieren.
    Als Abt Martin besagte Nachricht aus Rouen verlas, war er hingegen voller Eifer, lang und leidenschaftlich darüber zu reden. Ausgerechnet er, der gegenüber Wilhelm nie eine Meinung vertrat, hatte plötzlich nicht nur eine, sondern wollte diese auch kundtun.
    »Ich glaube, es war ein großer Fehler, Richard König Ludwig anzuvertrauen«, brach es aus ihm hervor. »Und dieses Schreiben bestätigt es.«
    Darin führten die Großen der Normandie Klage – berichteten sie doch davon, dass es ihnen kaum möglich war, mit Richard Kontakt behalten. Osmond de Cent-Villes hatte ihn zwar nach Laon begleiten dürfen, musste dort aber so abgeschottet leben wie der Knabe selbst. Kaum konnte er Bernhard dem Dänen, der die Regierungsgeschäfte in der Normandie führte, Nachrichten überbringen.
    Arvid war empört, der Abt sah es gelassener.
    »Dass Richard fern der Heimat aufwächst, ist traurig«, sagte er nachdenklich, »aber dass König Ludwig Bernhard bislang freie Hand lässt, ist doch ein Zeichen, dass ihm an Frieden gelegen ist.«
    »Aber gilt das auch für die Zukunft?«, fuhr Arvid auf. »Solange die Großen des fränkischen Reichs über Arnulfs Tat empört waren, konnte Ludwig es sich nicht leisten, über die Normandie herzufallen. Aber ich bin mir gewiss: Genau das hat er vor. Richard ist nicht sein Gast, sondern sein Gefangener.«
    »Warum bist du dir so sicher, dass er die Normandie will?«
    Arvid senkte seinen Blick. Godoin hatte Abt Martin anvertraut, wer er in Wahrheit war – und auch wenn der es, wie so vieles andere, nicht offen angesprochen hatte, war Arvid überzeugt, dass dies der Grund

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