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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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rot. Hast du das schon gemerkt?« Ich hätte ihn in den Körper einer anderen Person stecken sollen, dachte sie auf einmal, das ist es, was ich hätte tun müssen. Warum habe ich das nicht gleich getan? Dann wäre es, wie es sein müßte, dann hätte ich einen richtigen Bruder außerhalb von mir, mit dem ich spielen könnte.
    Aber andererseits hätte sie dann eine neue, eine fremde Person in ihrem Körper. Und das kam ihr nicht besonders erstrebenswert vor.
    Wer wäre wohl geeignet? fragte sie sich. Eines der anderen Schulkinder? Ein Erwachsener? Ich würde wetten, er wäre gern ein Erwachsener. Vielleicht Mr. Barnes. Oder Hoppy Harrington, der sich vor Bill gefürchtet hat. Oder – sie quietschte vergnügt auf – etwa Mama! Das ließe sich leicht machen; ich könnte mich an sie kuscheln, an sie drücken ... und Bill könnte hinüber, und dann hätte ich meine eigene Mama in mir – und wäre das nicht eine ganz tolle Sache?! Sie müßte alles tun, was ich will. Und sie könnte mir überhaupt nicht mehr sagen, was ich tun soll. Und sie würde auch keine von diesen unaussprechlichen Sachen mehr mit Mr. Barnes treiben, dachte Edie weiter, und auch mit keinem anderen. Dafür wäre dann gesorgt. Ich weiß, daß Bill so was nicht machen würde, er war ja genauso sauer wie ich.
    »Bill«, sagte sie und kniete nieder, hob den Regenwurm behutsam auf, hielt ihn in ihrer Handfläche, »warte nur, bis du hörst, was für einen Einfall ich gehabt habe ... Weißt du nämlich was? Wir werden Mama für die bösen Sachen bestrafen, die sie macht.« Sie legte den Wurm an ihre Seite, die Stelle, wo in ihrem Leib der feste Klumpen saß. »Geh wieder rein. Du willst ja doch kein Wurm sein. Es ist ja nicht so schön.«
    Die Stimme ihres Bruders erreichte sie wieder. »Du blödes Weib, du kotzt mich an, ich werde dir niemals verzeihen. Du hast mich in ein blindes Vieh ohne Beine und ohne alles gesteckt, ich konnte überhaupt nichts tun als mich an der Erde dahinschleppen!«
    »Ich weiß«, sagte Edie, schaukelte hin und her, den nutzlos gewordenen Wurm noch in der Hand. »Hör zu, hast du verstanden, was ich dir erklärt habe? Möchtest du das tun, was mir eingefallen ist? Soll ich dafür sorgen, daß Mama und ich uns drücken, damit du ...? Du weißt schon. Dann hättest du Augen und Ohren. Du wärst ein erwachsener Mensch.« »Ich weiß nicht recht«, erwiderte Bill nervös. »Ich glaube, ich möchte nicht als Mama herumlaufen. Wenn ich daran denke, wird mir irgendwie bang.«
    »Feigling«, sagte Edie. »Wenn du nicht mitmachst, laß ich dich nie wieder raus. Ja, wenn du nicht Mama sein möchtest, wer willst du dann sein? Sag's mir, und ich sehe zu, daß es klappt. Ich versprech's dir, sonst will ich auf der Stelle schwarz werden und tot umfallen.«
    »Mal sehen«, antwortete Bill. »Ich werde mit den Toten reden und hören, was sie dazu sagen. Ich weiß sowieso nicht, ob's gehen wird. Ich hatte schon ziemliche Mühe, in den kleinen Wurm zu gelangen.«
    »Du hast bloß Schiß davor, 's zu versuchen.« Edie lachte und warf den Regenwurm in die Sträucher neben dem Schulhof. »Feigling! Mein Bruder ist ein großer kleiner Feigling!«
    Bill gab keine Antwort; er hatte seine Gedanken von ihr und ihrer Welt genommen, sie in jene Bereiche gerichtet, in die nur er vordringen konnte. Rede nur mit deinen blöden alten Strünken von Toten, dachte Edie. Den doofen Toten, die nur platt und angegammelt rumliegen und nie irgendeinen Spaß oder sonst was vom Leben haben.
    Und dann hatte sie eine wirklich umwerfend gute Idee. Ich mach es so, daß er, wenn er nach draußen geht, in den Irren kann, diesen Mr. Tree, über den sie jetzt alle reden, beschloß sie. Mr. Tree ist gestern abend im Förstersaal aufgestanden und hat allerhand Blödsinn übers Bereuen und was nicht alles gequasselt, und falls sich Bill komisch verhalten oder mal nicht wissen sollte, was er sagen soll, wird niemand sich darum kümmern.
    Allerdings stellte dieser Einfall sie vor das greuliche Problem, es anschließend mit einem Irren in ihrem Innern zu tun zu haben. Vielleicht kann ich wirklich Gift nehmen, wie ich immer sage, sann sie. Ich könnte einen Haufen Oleanderblätter oder Pfefferkörner oder irgend so was schlucken und ihn auf diese Weise bald wieder loswerden. Er wäre je hilflos, er könnte dagegen nichts unternehmen.
    Trotzdem sah sie darin ein ernstes Problem; die Vorstellung, Mr. Tree in sich zu haben – sie hatte ihn oft genug gesehen, um ihn ganz und gar nicht

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