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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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sehen. Sie hatte die Besinnung verloren; sofort schaute er wieder weg und schenkte seine Aufmerksamkeit der Sauerstoffversorgung, weil er wußte, daß Lydia nichts fehlte; trotzdem mochte er sie in diesem Zustand des Leidens nicht betrachten. Es ist alles in Ordnung, dachte er. Alles ist in Ordnung. Wir sind in der Umlaufbahn und warten auf die letzte Schubphase. Es ist alles halb so schlimm.
    »Bis jetzt hat alles tadellos geklappt, Walt«, sagte eine Stimme in seinem Ohrhörer. »Der Präsident schaut zu. Ihr habt noch acht Minuten und sechs Sekunden bis zu den einleitenden Kurskorrekturen vor der Zündung der vierten Stufe. Für die Korrektur kleinerer ...«
    Statische Geräusche übertönten die Stimme, bis er sie nicht länger zu hören vermochte.
    In der Korrektur kleinerer, aber entscheidender Fehler hinsichtlich der Fluglage können wir bedauerlicherweise noch keine tadellosen Erfolge vorweisen, dachte Walter Dangerfield. Wahrscheinlich wird man uns wieder runterholen, genauso wie es vorher bei den robotischen Probestarts gelaufen ist. Und einige Zeit später werden wir es noch einmal versuchen. Gefahr besteht deswegen keine. Der vorzeitige Abbruch solcher Unternehmen hat schon Tradition. Er wartete.
    In seinem Ohrhörer meldete sich wieder die Stimme von vorhin.
    »W alter, wir hier unten werden angegriffen.«
    »Was?« hakte er nach. »Was habt ihr gesagt?«
    »Gott steh uns bei«, sagte die Stimme. Sie kam von einem Mann, der bereits gleichsam tot war; sie ermangelte jeglichen Gefühls, war völlig ausdruckslos, und nun verstummte sie. Blieb aus.
    »Von wem denn?« rief Walt Dangerfield in sein Mikrofon. Er dachte an Lattenknüttel und Krawallbrüder, an Ziegelsteine und eine wütende Menschenmenge. Angegriffen von irgendwelchen Verrückten, oder was war gemeint?
    Er raffte sich auf, befreite sich von den Sitzgurten und schaute durch die Sichtfläche hinunter auf die Welt, die unter ihnen schwebte. Er sah Wolken und das Meer, die Wölbung der Erdkugel. Es schien, als glömmen stellenweise Streichhölzer auf; er sah den Rauch und die Flammen. Entsetzen befiel ihn, während er lautlos durch das All trieb und zusah, wie drunten überall die Glut auflohte wie von vielen Stichflammen; er besaß darüber Klarheit, was dort geschah.
    Das ist der Tod, dachte er. Der Tod legt an allen Ecken und Enden Feuer und verbrennt Sekunde um Sekunde das Leben der gesamten Welt.
    Er beobachtete weiter.

    Dr. Stockstill wußte, daß unter einem der großen Bankgebäude ein städtischer Bunker lag, aber ihm fiel nicht ein, unter welchem. Er packte seine Sekretärin bei der Hand, lief mit ihr aus dem Haus und die Center Street entlang, suchte das schwarzweiße Hinweisschild, das er schon tausendmal gesehen hatte, das zu einem festen Bestandteil seines alltäglichen, mit seinem Beruf verbundenen Benutzens der öffentlichen Straßen geworden war; das Schild war längst mit allem anderen Unveränderlichen seines Wahrnehmungsmusters verwach sen, und nun hatte er es nötig; er wünschte, es würde hervortreten und seine Aufmerksamkeit erregen, so wie am Anfang, als tatsächlich aufschlußreicher Hinweis von hochwichtiger Bedeutung, ein Hilfsmittel zur Rettung seines Lebens.
    Schließlich war es seine Sekretärin, die ihm, indem sie an seinem Arm zog, den Weg wies; sie schrie ihm immer wieder ins Ohr, bis er die Richtung erkannte; er wandte sich dorthin, und gemeinsam überquerten sie die Straße, eilten durch den zum Erliegen gekommenen Verkehr und die stehengelassenen Autos ins Gedränge und Gewimmel, in dem sie sich behaupten mußten, um in den Bunker zu gelangen, der sich in den Kellerräumen des Gebäudes befand.
    Während sie in die Tiefe flüchteten, immer weiter hinab, in den unterirdischen Schutzraum, Massen von Menschen sich darin zusammendrängten, dachte er an den Patienten, der vor einer Weile bei ihm gewesen war; er dachte an Mr. Tree, und in seinem Geist sagte eine Stimme ganz klar und deutlich: Das haben Sie getan. Sehen Sie nur, was Sie getan haben, Sie haben über uns alle den Tod gebracht.
    Seine Sekretärin war im Gewühl von ihm getrennt worden, und er befand sich allein inmitten eines Haufens Leute, die er nicht kannte, atmete ihnen ins Gesicht und mußte sich von ihnen ins Gesicht atmen lassen. Die ganze Zeit hindurch hörte er ein Geheul, den Lärm von Frauen und wahrscheinlich ihren kleinen Kindern, sie mußten aus den Kaufhäusern gekommen sein, vom nachmittäglichen Einkaufsbummel direkt in den Bunker

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