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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Bonny Keller plötzlich, daß aus der Stereoanlage im Wohnzimmer keine klassische Musik mehr ertönte. Sie verließ das Schlafzimmer, wischte sich die Schmierflecken von Wasserfarben von den Händen und fragte sich, ob in dem Gerät schon wieder dieselbe Schaltung – wie George sich ausgedrückt hatte – im Eimer sein mochte.
    Da sah sie durchs Fenster im Süden sich eine dicke, gedrungene Rauchsäule an den Himmel erheben, so dicht und braun wie ein richtiger Baumstamm. Entgeistert starrte sie hinüber, und da zersprang das Fenster; es zerflog in zahllose winzigkleine Splitter, und die Druckwelle warf Bonny nieder, so daß sie zusammen mit den nahezu pulvrig feinen Bruchstücken des Fensters über den Fußboden rutschte. Jeder einzelne Gegenstand im Haus geriet ins Wanken, fiel um und zerbarst, um dann in Trümmern gemeinsam mit ihr davonzuschlittern, so als sei das ganze Haus auf die Seite gekippt worden.
    Die San-Andreas-Falte, dachte sie. Ein schreckliches Erdbeben, so wie vor achtzig Jahren. Wir haben alle gebaut, und jetzt sind wir mit einem Schlag alle ruiniert ... Sie kreiselte und prallte an die gegenüberliegende Wand des Hauses, die sich nun, wie sie sah, in der Waagerechten befand, wogegen der Fußboden sich in die Senkrechte verlagert hatte; sie sah Lampen, Tische und Stühle fallen und zerbrechen, und es erstaunte sie, bei dieser Gelegenheit feststellen zu müssen, wie zerbrechlich der ganze Plunder war; sie konnte gar nicht fassen, daß Dinge, die jahrelang in ihrem Besitz und Gebrauch gewesen waren, so leicht zu Bruch gehen sollten; nur die Wand, nun unter ihr, blieb in ihrer Härte erhalten.
    Mein Haus, dachte sie. Dahin. Alles was mein war, mir etwas bedeutet hat. Ach, ist das eine Ungerechtigkeit!
    Ihr Kopf schmerzte, während sie da außer Atem lag und keuchte; sie sah ihre Hände weiß, überzogen mit weißlichem Staub, sah sie beben, klopfte sie ab; Blut rann an ihrem Handgelenk hinab, von irgendeiner Wunde, die sie nicht sehen konnte. An meinem Kopf, dachte sie. Sie rieb sich über die Stirn, und kleine Bröckchen fielen ihr aus dem Haar. Mittler weile lag der Fußboden wieder zu ebener Erde – sie begriff überhaupt nicht, wie das geschehen war –, und die Wand stand wieder senkrecht, so wie vorher. Das hatte sich normalisiert. Aber die gesamte Einrichtung war zertrümmert. Daran änderte sich nichts. Ein Haus voller Sperrmüll, dachte sie. Es wird Wochen dauern, das alles aufzuräumen, womöglich Monate. Wir werden das Haus nicht mehr herrichten. Das ist das Ende unserer Existenz, unseres Glücks.
    Sie stand auf und tappte umher, trat die Reste eines Stuhls beiseite. Mit Tritten bahnte sie sich einen Weg durch all den Abfall, in den sich der Hausrat verwandelt hatte, zur Tür. Rußteilchen, Ascheflocken und Staub wirbelten durch die Luft, sie atmete davon ein; sie würgte und hustete, der Dreck war ihr zuwider. Überall lag Glas, alle ihre schönen PlattenglasFensterscheiben waren zersplittert. Die Fenster bestanden nur noch aus leeren, rechteckigen Öffnungen, aus deren Rändern sich, während sie hinüberblinzelte, ein paar letzte Scherben lösten und auf den Boden fielen. Sie fand eine Tür; sie war vom Druck aufgestoßen worden. Sie stemmte sich mit ihrem ganzen Körpergewicht dagegen und schob sie seitwärts, vollends auf, trat auf unsicheren Beinen aus dem Haus, blieb nach wenigen Schritten stehen, um zu schauen, was sich ereignet hatte.
    Ihre Kopfschmerzen verschlimmerten sich. Bin ich erblindet? zog sie in Erwägung. Es kostete sie erhebliche Mühe, die Augen offenzuhalten. Habe ich tatsächlich ein Licht gesehen? Sie erinnerte sich an ein ganz kurzes, grelles Aufblitzen, vergleichbar mit dem plötzlichen Öffnen und Schließen der Blende in einer Kamera, so flüchtig, daß ihre Sehnerven darauf gar nicht reagiert hatten – gesehen hatte sie es eigentlich nicht. Und doch waren ihre Augen beeinträchtigt worden; sie spürte, daß sie in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Ihr ganzer Körper hatte gelitten, sie insgesamt, und das war auch kein Wunder. Aber der Erdboden: sie konnte gar keine Risse erkennen. Und das Haus stand noch; nur die Fenster und der Hausrat waren hinüber. Das Bauwerk, die hohle bauliche Struktur, war erhalten geblieben, aber mit nichts mehr darin als Müll.
    Ich glaube, es ist besser, ich suche mir Hilfe, dachte sie, während sie sich langsam in Bewegung setzte. Ich brauche ärztliche Hilfe. Und dann, als sie stolperte und beinahe hinfiel, blickte sie sich

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