Kinder des Holocaust
Dangerfield abgedroschene Phrasen zu hören bekommen, keine deklamatorischen Redensarten, wie man sie früher an Fest- und Feiertagen zu bemühen pflegte, nichts von all jenem Gefasel, durch das sie dahin gelangt waren, wo sie sich jetzt befanden.
»Soll ich Ihnen den wahren Grund verraten, weshalb ich nicht am Krieg teilgenommen habe?« hatte Eldon ihn eines Tages äußern gehört. »Warum man mich sicherheitshalber kurz vorher ins All geschossen hat? Man war viel zu schlau, um mir eine Waffe in die Hand zu drücken – ich hätte ja sofort meinen Vorgesetzten umgelegt.« Und er hatte gelacht, wie nach einem Scherz; aber es war die Wahrheit, was er sprach, alles was er sagte, war reine Wahrheit, selbst wenn er ihm den Anschein von Spaßigkeit verlieh. Dangerfield hatte als politisch unzuverlässig gegolten, und jetzt saß er dort oben und durchmaß jahraus, jahrein über ihnen seine Umlaufbahn. Und er war ein Mann, dem man Glauben schenkte.
Das Haus der Raubs stand neben einem Höhenzug, und man besaß von dort aus Überblick auf weite Teile des Kreises West Marin, auf Gemüsefelder und Bewässerungsgräben, da und dort eine an einem Pfahl festgebundene Ziege und natürlich Pferde. Durchs Wohnzimmerfenster sah Eldon Blaine weiter unten bei einem Bauernhaus ein großes Percheronpferd, das zweifellos einen Pflug zog ... und zweifelsohne auch ein motor loses Auto die Straße zum Kreis Sonoma entlang, wenn es an der Zeit war, die Vorräte zu ergänzen.
Er konnte nun auch ein Pferdegefährt auf der Landstraße erspähen; bestimmt hätte es ihn mitgenommen, wäre er nicht zuvor von Mrs. Raub zurückgeholt worden, und er könnte nun bald in Petaluma sein.
Drunten am Abhang strampelte Mrs. Raub auf ihrem Fahrrad davon, um ihm die gesuchten Antibiotika zu verschaffen; zu seiner Verblüffung hatte sie ihn in ihrem Haus allein gelassen und es ihm freigestellt, sich alles anzuschauen, und nun wandte er sich vom Fenster ab, um nachzusehen, was es hier alles gab. Stühle, Bücher, in der Küche Lebensmittel und sogar eine Flasche Wein, in den Schränken Kleidungsstücke; er streifte durchs Haus und genoß den Anblick von alldem regelrecht; es war fast genauso wie vor dem Krieg, nur hatte man naturgemäß längst sämtliche nutzlos gewordenen elektrischen Gerätschaften weggeworfen.
Durch die rückwärtigen Fenster des Hauses erblickte er die grüne, hölzerne Seite eines großen Wassertanks. Die Raubs, ersah er, verfügten über eine eigene Wasserversorgung. Draußen floß ein klarer, unverschmutzter Bach.
Neben dem Bach stand irgendein merkwürdiger Apparat, etwas wie ein Skooter auf vier Rädern. Er starrte hinüber; irgendwelche Vorrichtungen füllten geschäftig Kübel mit Wasser. In der Mitte des Fahrzeugs saß ein Mann ohne Arme und Beine. Der Mann nickte vor sich hin wie zu den Klängen von Musik, und die Vorrichtungen rund um ihn gehorchten anscheinend seinem Willen. Es handelte sich um einen Phokomelus, erkannte Eldon, der da auf seinem Phokomobil saß, einer Kombination von Fortbewegungsmittel und manuellen Handhabungsvorrichtungen, die als Ersatz seiner fehlenden Gliedmaßen diente. Was trieb er dort? Stahl er den Raubs Wasser?
»Hallo«, sagte Eldon.
Sofort drehte der Phokomelus den Kopf; seine Augen funkelten Eldon aufgebracht an, dann traf irgend etwas Eldon mitten in den Leib – er torkelte rückwärts, und während er wankte und um sein Gleichgewicht rang, merkte er, daß etwas ihm die Arme an die Seiten drückte. Ein Drahtnetz war aus dem Phokomobil geschnellt und hatte sich um ihn gewickelt. Das war wohl das Verteidigungsgerät des Phokomelus.
»Wer sind Sie?« stammelte der Phokomelus, der aus aufgeregtem Bedürfnis, die Antwort zu erfahren, ins Stottern geriet. »Sie sind nicht in dieser Gegend zu Hause. Ich kenne Sie nicht.«
»Ich bin aus Bolinas«, sagte Eldon. Das Netz zog sich zusammen, bis ihm ein Keuchen entfuhr. »Ich bin der Brillenmann. Mrs. Raub hat gesagt, ich könne hier warten.«
Das Netz, so hatte er den Eindruck, lockerte sich wieder ein wenig. »Ich kann kein Risiko eingehen«, sagte der Phokomelus. »Ich lasse Sie nicht frei, bis June Raub zurückkommt.« Von neuem begannen die Schöpfkübel ins Wasser zu tauchen; nach und nach füllten sie den am Phokomobil befestigten Wasserbehälter, bis der Inhalt überschwappte.
»Dürfen Sie das?« erkundigte sich Eldon. »Hier bei den Raubs Wasser aus dem Bach holen?«
»Das ist mein gutes Recht«, entgegnete der Phokomelus. »Ich gebe
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