Kinder des Holocaust
richtig starken Rock heut abend.
Mann äh ich hab 'ne dufte Neuigkeit:
's gibt richtig starken Rock heut abend!
Heut abend bin ich ein mächtig starker Mann und drück meine Ische so fest wie ich kann.«
Tränen quollen ihm in die Augen, als er sich an die alten Hits erinnerte, die Songs einer Welt, die es nicht mehr gab. Alles dahin, sagte er sich. Nicht einmal Bluthgeld ist noch unter uns, heißt es ... und was haben wir heute statt all dessen, eine Ratte, die Nasenflöte spielen kann, ach was, auch nicht, sie ist ja überfahren worden.
Er hatte noch eine andere Lieblingsplatte gehabt, ein Lied über irgendeinen Mann mit einem Messer; er versuchte, sich darauf zu besinnen, wie der Text gelautet hatte. Irgendwie war es auch um einen Haifisch gegangen, der Zähne oder sogar irgendwelche besonderen Zähne besessen hatte. Doch seine Erinnerung war zu schwach; er vermochte sich nicht daran zu entsinnen. Seine Mutter hatte ihm die Platte zum erstenmal vorgespielt; ein Mann mit harscher Stimme hatte das Lied gesungen, und es war wunderschön gewesen.
Ich würde wetten, das Lied hätte die Ratte nicht auf der Flöte spielen können, dachte er. In einer Million Jahre nicht. Ich finde, daß ist doch praktisch heilige Musik geworden. Musik aus unserer Vergangenheit, unserer heiligen Vergangenheit, an der kein noch so schlaues Tier und kein Freak jemals Anteil haben kann. Die Vergangenheit gehört allein uns richtiggehend echten Menschen. Ich wünschte (dieser Gedanke brachte ihn in eine gewisse innere Erregung), ich wäre zu so etwas imstande, was damals Hoppy getrieben hat, ich wollte, ich könnte mich in eine Trance versetzen, aber ich würde nicht in die Zukunft schauen, wie er es gemacht hat – ich würde in die V ergangenheit A usschau halten.
Ist Hoppy zu so etwas fähig, falls er noch lebt? Ob er es versucht hat? Wo er wohl steckt, dieser Hellseher. Das war er nämlich, ein Hellseher. Der erste Phoko. Fast bin ich sicher, daß er mit dem Leben davongekommen ist. Wahrscheinlich ist er zu den Chinesen übergelaufen, die oben im Norden gelandet sein sollen.
Ich würde in meinem Rückblick zu dem Zeitpunkt zurückkehren, überlegte er, als ich Jim Fergesson kennengelernt habe, als ich Arbeit suchte und es für einen Schwarzen noch schwierig war, eine Stelle zu bekommen, in der er Umgang mit Kunden pflegen mußte. Das war positiv an Fergesson gewesen, er hatte keine Vorurteile gehegt. Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Ich hatte die Klinkenputzerei mit den Aluminiumbratpfannen hinter mir und den Job bei der Encyclopaedia Britannica erhalten, aber das war auch nur Klinkenputzerei. Mein Gott, sah Stuart plötzlich ein, meine erste richtig anständige Tätigkeit, die habe ich bei Jim Fergesson ausgeübt, denn die Klinkenputzerei zählt ja wirklich nicht.
Während er an Jim Fergesson dachte – der nun schon all die Jahre seit dem Tag X tot und dahin war –, erreichte er die San Pablo Avenue, auf der es da und dort kleine Läden gab, kaum mehr als aus Altmaterial gebaute Buden, in denen man alles erdenkliche verkaufte von Kleiderbügeln bis Heu. An einer von ihnen hing ein Schild mit der Aufschrift HARDYS HOMÖOSTATISCHE SCHÄDLINGSFALLEN, und er ging in ihre Richtung.
Als er eintrat, blickte Mr. Hardy von seinem hinten befindlichen Werkpult auf; er arbeitete unterm weißlichen Licht einer Bogenlampe, und ringsherum lagen haufenweise elektronische Bauteile, zusammengesucht aus allen Ecken und Enden des nördlichen Kaliforniens. Viele stammten aus den Ruinen draußen in Livermore; Mr. Hardy besaß Beziehungen zu höheren Beamten und hatte von ihnen die Erlaubnis erhalten, sich dort auf den nichtöffentlichen staatlichen Schrottplätzen zu bedienen.
Früher war Dean Hardy Techniker in einer Rundfunkredaktion in der Innenstadt von Oakland gewesen; er war ein schlanker, älterer Mann mit ruhiger Sprechweise, der eine grüne Strickjacke und sogar in der heutigen Zeit einen Schlips trug – heutzutage war ein Schlips ein wahrhaftig einzigartiger Anblick. Sein Haar war grau und kraus, und er erinnerte Stuart an einen Weihnachtsmann ohne Bart: er hatte ein drolliges Gesicht, das ständig einen grimmigen Ausdruck zeigte, und besaß eine derbe Art von Humor. Rein körperlich war er eine wenig bedeutende Erscheinung; er wog knapp sechzig Kilo. Aber er war launisch bis an den Rand der Gewalttätigkeit, und Stuart hatte vor ihm gehörigen Respekt. Hardy war fast sechzig und für Stuart in mancherlei Hinsicht zu einer
Weitere Kostenlose Bücher