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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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gänzlich entkleidet und gewaschen worden, ablaufendes Wasser rann aus dem Ausguss in einen bereitgestellten Eimer. Der Seziertisch rund um den Leichnam war sauber, es gab keinen Tropfen Blut. Nass und glatt lag das dunkelbraune Brusthaar auf der beinahe weißen Haut. Die Augen waren geöffnet, tot und seelenlos schauten sie ins Nichts.
    In der Mitte, zwischen Kinn und Schlüsselbein, fehlte der Hals zu mehr als der Hälfte! Die blutige Wunde erinnerte an den Biss eines Raubtiers, das Fleisch war von scharfen Zähnen weggerissen worden. Sie dachte sofort an den Bären, von dem er ihr erzählt hatte. »Nein«, ächzte Scylla und schüttelte die Benommenheit ab, so gut es ging. Sie richtete sich langsam auf, löste die Riemen, mit denen ihre Beine fixiert worden waren. Die Schmerzen in ihrem Unterleib verdreifachten sich durch die Bewegungen und wurden noch schlimmer, als sie die Füße auf den Boden stellte und sich abstieß, um zu ihrem Freund zu laufen.
    Auch wenn der Abstand nicht mehr als vier Schritte betrug, es schien für Scylla die größte Distanz, die sie jemals hatte bewältigen müssen.
    Keuchend vor Anstrengung, stützte sie sich an der Kante ab,das Laboratorium drehte sich um sie, während der Tote merkwürdig still blieb und als Achse zu dienen schien. Warme Flüssigkeit lief an ihren Oberschenkeln hinab. Scylla verzichtete darauf, danach zu sehen. Sie wusste, dass es Blut war.
    In dieser Situation höchster Qualen und Verzweiflung flüchtete sich ihr Verstand in die Sicherheit des Wissens und ließ sie den Leichnam des Hirten leidenschaftslos betrachten, als handele es sich um eines der unzähligen Präparate.
    Die Wundränder waren glatt, aber nicht so glatt, als ob eine Klinge zum Einsatz gekommen wäre. Tatsächlich sah es so aus, als wäre seine Kehle von einem mächtigen Raubtierkiefer gepackt und durchgebissen worden. Die weiße Haut rührte von dem Blutverlust her; Giure musste vollständig ausgeblutet sein.
    Während ein Teil von ihr in Trauer versank, ging ein anderer Teil daran, nach weiteren Spuren zu suchen, die ihr Aufschluss über die Art des Angreifers gaben.
    Upire verursachten solche Wunden nicht, es kam nur ein gewaltiges, wütendes Raubtier in Frage. Sie glaubte an das Werk des Bären, auch wenn es ungewöhnlich war, dass ein solches Tier einen Menschen anfiel und es bei einer einzelnen großen Wunde beließ. Auch gab es keine Anzeichen von Krallenschnitten oder Prankenhieben, als habe Giure dem Bären einfach die Kehle dargeboten, und dieser hätte zugeschnappt.
    Ihr geschwächter Körper verlangte Tribut. Die Beine gaben nach, und Scylla drohte zu stürzen.
    Plötzlich stand Karol neben ihr, Hände, Unterarme und die lederne Schürze waren blutverschmiert. »Du bist zu früh aufgestanden«, sagte er und fing sie auf. Er half ihr, sich auf den Seziertisch neben die Füße der Leiche zu setzen.
    Sie atmete tief ein und fachte damit das Feuer in ihrem Unterleib neu an; sofort rang sie flacher nach Luft. »Was ist geschehen?«
    »Du hast im Schlaf eine Fehlgeburt erlitten, Tochter.« Karols Gesicht blieb ernst. »Ich musste den Fötus entfernen, sonst wäre es dein Tod gewesen.«
    »Entfernen?«
Der Gedanke, den sie bisher stets verdrängt hatte, kam mit grausamer Konsequenz zurück. Ihre verleugnete Schwangerschaft hatte sie auf übelste Art eingeholt; und doch spürte sie nichts, keine Trauer und keine Verzweiflung. Das Wissenschaftliche in ihr behielt noch die schützende Oberhand. Scyllas Blick wanderte zu Giure. »Und er? Was ist …«
    »Ich weiß es nicht, und es ist mir auch gleichgültig, was mit diesem Hurensohn geschehen ist!«, zischte Karol. »Ich wollte ihn aufsuchen und ihm sagen, was ich davon halte, dass er durch die Gegend läuft und seinen Samen verteilt, wie es ihm gerade in den Sinn kommt, da fand ich ihn mitten zwischen gerissenen Ziegen.« Karols Gesicht zeigte seine Abscheu.
    Die Gefühle überwältigten sie mehr und mehr. »Mein Gott«, flüsterte sie tränenerstickt.
    »Ich schwöre dir, Tochter, dass ich ihn umgebracht hätte, wenn der Bär mir nicht zuvorgekommen wäre«, sagte er kühl und tonlos.
    Scylla gelang es nicht, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. »Aber er liebte mich und wollte mich zu seiner Frau … Wir wollten zusammen Gelehrte werden …«
    Karol lachte auf. »Er hat dich ausgenutzt und dich beschmutzt, Scylla! Entweiht!« Er packte sie bei den Schultern, der Griff war schmerzhaft. »Ich kenne diesen Schlag von Mann. Dumme, brünstige

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