Kinder des Judas
ihre Brüste betonend, die Hände lagen an den schlanken Hüften. Sie tanzte auf ihn zu und verzichtete auf jede Anzüglichkeit,sondern gab ihrem Gesang etwas Ehrliches und Ernsthaftes. Sie wurde zur Witwe, die ihren neuen Liebsten gefunden hatte und ihm ewige Treue schwor. Mit den letzten Tönen hielt sie vor seinem Platz an, verneigte sich vor ihm, schlug die Augen nieder und verharrte.
Es blieb für mehrere Herzschläge still im Saal. Dann brandete ein Applaus auf, der selbst den lautesten Donner übertönt hätte. Klimpernd flogen Münzen von allen Seiten zu ihr, die sie jedoch nicht anrührte. Lächelnd hob sie ihr Antlitz und schaute zu Jakobus.
Ein Blick in sein Gesicht zeigte ihr, dass ihr Unterfangen gelungen war. Kein Mann konnte sich mehr ihrer Wirkung entziehen. Tanz und Stimme bildeten ihr größtes Kapital, waren Toröffner in das Leben der Einflussreichen. Scylla hatte vor, Schritt für Schritt nach oben zu steigen.
Jakobus warf ihr keine Münzen hin, sondern deutete mit dem Finger zur Tür.
In mein Gemach, Schöne
, formulierten seine Lippen tonlos.
Scylla verneigte sich erneut, sammelte das Geld ein und verließ die Gesellschaft. Ein Bediensteter erwartete sie draußen und führte sie die Treppe nach oben, wo sich die Zimmer des Landpächters befanden. Sie gingen auf der Balustrade entlang und gelangten in Jakobus’ Schlafraum. Er war groß, aber nicht übermäßig üppig ausgestattet. Ein Baldachin gegen das Ungeziefer hing über dem breiten und mit Schnitzereien verzierten Bett; bemalte Schränke waren an die rechte Wand gerückt. Auf dem kleinen Tischchen neben dem Eingang stand eine Karaffe mit zwei leeren Gläsern.
Der Bedienstete sagte ihr, dass sie sich setzen solle. »Du wirst auf den Herrn vorbereitet«, sprach er und wartete an der Tür, bis es klopfte. Er öffnete, und zwei Mägde kamen herein, die einen Eimer mit warmem Wasser, Seife und Handtücher brachten. »Du bist verschwitzt. Zieh dich aus.«
Scylla verspürte großen Durst, Tanz und Gesang hatten sie angestrengt. »Kann ich etwas zu trinken bekommen?«
»Sicher.« Der Bedienstete goss etwas Wasser aus der Karaffe in ein Glas und reichte es ihr.
Wie eine Verdurstende stürzte sie das Wasser hinab – und hatte das Gefühl, dass es schon im Mund verdampfte. Das bisschen, was in ihren Magen gelangte, reichte nicht aus, um das Verlangen zu stillen. »Mehr, bitte.« Sie hielt ihm das Glas hin, er schenkte ihr nach und sie trank wieder schnell. Doch auch diesmal richtete das Wasser nichts gegen die innere Hitze aus.
Mit einem Knurren schnappte sie sich die Karaffe und setzte die Lippen an den Rand, während die Mägde sie entkleiden wollten. Sie begannen mit der Haube und schälten sie dann aus dem Kleid. Scylla schluckte und schluckte, aber noch immer hatte sie den Eindruck, dass nichts von der Flüssigkeit überhaupt in sie gelangte. Sie setzte das Gefäß ab – und sah in die erschrockenen Gesichter der Mägde und des Mannes.
Eine Frau starrte auf die roten Haare, die lang und glatt auf ihre Schultern fielen, der Bedienstete hatte den Blick auf das Feuermal auf ihrem Unterarm gerichtet. »Upir«, stotterte er und lief schon zur Tür.
Scylla wusste, dass sie nicht schnell genug an den Frauen vorbeigelangen konnte, dennoch wollte sie den Mann packen.
Eine plötzliche Böe drückte gegen das Fenster und sprengte den Riegel, die Vorhänge wirbelten wie lange Fahnen umher. Ein heißes Ziehen schoss durch Scyllas Körper – und die ausgestreckte Hand wurde durchscheinend wie Glas! Ihre Kleider fielen auf die Dielen; gleichzeitig verlor sie jegliches Gewicht, flog auf den Bediensteten zu. Es fauchte, als ein scharfer Wind durch den Raum fegte. Der Mann wurde mit dem Kopf voran gegen die geschlossene Tür geschleudert; keuchend brach er zusammen und blieb liegen.
Scylla fuhr herum und sah zu den Mägden, die zwar in ihreRichtung blickten, sie aber anscheinend nicht sehen konnten. Die Böe brachte ihre Röcke zum Flattern.
»Wo ist sie?«, flüsterte die jüngere. »Ist sie geflohen?«
»Ich weiß es nicht«, gab die ältere zur Antwort und holte ihren Kreuzanhänger hervor. »Hast du die roten Haare gesehen? Es war ein Judaskind. Mein Gott, steh uns bei! Sie wollte den Herrn töten.«
»Mach dir lieber Sorgen um dich«, gab die andere zurück. »Wenn sie auf dem Gang lauert?«
Scylla lachte auf. Ihr hatte sich eine neue, wundersame Eigenschaft offenbart, von der sie nichts geahnt hatte. »Leicht wie eine Feder, dem Wind
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