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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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hatte sich zu einem Landpächter mit großem Einfluss aufgeschwungen und war von den Besatzern mit allerlei Privilegien ausgestattet worden. Auch in seinem Fall hatten Münzen einiges geregelt.
    Schön mochte ihn Scylla wirklich nicht nennen, aber darum ging es ihr nicht. Annehmlichkeiten, das wollte sie. Dass er verheiratet war, störte sie nicht. Zudem befand sich seine Frau in dieser Nacht nicht auf dem Anwesen. Er hatte ein Gewand ähnlich einer Tunika angelegt, darüber trug er einen dünnen Mantel aus gefärbter Seide, den er vom Statthalter als Geschenk erhalten hatte, wie er immer wieder gerne berichtete.
    Scylla nahm sich die Karaffe mit dem Wein, bevor jemand anders es tun konnte, und ging damit zum Tisch. Sie begab sich an Stracz’ Seite. »Noch Wein, Herr?«, fragte sie und legte in ihre Stimme jenen Schmelz, mit dem sie früher ihre Lieder vorgetragen hatte und sich sofort alle Aufmerksamkeit sichern konnte.
    Tatsächlich wandte Jakobus ihr sein Gesicht zu und musterte sie; dann hob er den Becher. Scylla lächelte und goss ihm ein – da drehte er sich weg und nahm seine Unterhaltung wieder auf! Hatte sie ihn falsch eingeschätzt, oder verlangte es ihn eher nach dem eigenen Geschlecht? Sein Desinteresse verunsicherte sie nicht, sondern ließ sie aufkeimende Wut verspüren; für einen Moment wünschte sie sich nichts mehr, als seine Unverschämtheit mit einem tödlichen Hieb ihrer Hand zu strafen.
    Doch dann spielten die Musikanten ein Lied, das sie aus ihrer Kindheit kannte, und sie summte die Melodie mit, während sie einem Landpächter nach dem anderen Wein kredenzte; Scylla bemerkte, dass andere Männer sie sehr wohl lange und begierig anschauten. Das brachte sie auf eine neue Idee.
    Als die Karaffe leer war, kehrte Scylla nicht zum Ausschank zurück. Stattdessen gesellte sie sich zu den Musikern, die zu schnelleren und vor allem lauteren Stücken übergegangen waren, um sich gegen das Stimmengewirr in der Halle durchzusetzen und Aufmerksamkeit für ihre Kunst zu verlangen.
    Auch Scylla erhob ihre Stimme. Laut sang sie die Ballade über die zwanzig Räuber mit, was die Männer an den Instrumenten anstachelte, noch ausgelassener zu spielen.
    Scylla hörte ihre eigene Stimme und wunderte sich insgeheim. Durch die Wandlung zur Upirina hatte sie noch mehr Ausdruckskraft erhalten, sie klang intensiver und klarer als jemals zuvor.
    Ihr Gesang fesselte die Zuhörer, das sah sie in den Gesichtern der Umstehenden. Sie konnten die Augen nicht mehr von der jungen Sängerin abwenden, die nun zusätzlich noch wie eine Tänzerin herumwirbelte und die Abenteuer der Räuber derart inbrünstig und mitreißend zum Besten gab, als wäre sie selbst eine von ihnen gewesen.
    Scylla schaute kurz zu Jakobus, der sie jetzt neugierig betrachtete.Sie hatte es geschafft, ihn zu begeistern – doch das Lied neigte sich dem Ende zu.
    »Rasch, spielt etwas Heiteres«, rief sie den Musikanten zu. »Ich möchte, dass alle tanzen.«
    Die Angesprochenen reagierten mit Begeisterung. Eine Geige jubelte auf und schraubte sich höher und höher, bis die übrigen Instrumente einstimmten. Dieses Mal, als hätten sie geahnt, was Scylla dachte, spielten sie das Lied von der schönen Witwe, die sich ihre Verehrer reihenweise aussuchen konnte.
    Und Scylla ging in dieser Rolle auf. Sie strich den Tisch entlang, sang sich in die Herzen der Männer und schenkte ihnen tiefe, vielversprechende Blicke, um sich mit einem Auflachen wieder von ihnen abzuwenden und auf den nächsten zuzugehen. Einer nach dem anderen entbrannte in Verlangen.
    Sie spürte, wie jeder freudig darauf wartete, dass sie vor ihm erschien. Sie gab jedem die Illusion, dass er es sein könnte, mit dem sie die Nacht verbrachte. Nur um einen machte sie einen großen Bogen: Jakobus. Er wurde von ihr ausgespart, während sie seine Nachbarn mit neckenden Augenaufschlägen ins Schwitzen und in Verlegenheit brachte, andere streckten die Hände nach ihr aus, die sie zur Seite schlug oder denen sie höhnisch schnaubend auswich.
    Das Lied wurde inzwischen im Takt mitgeklatscht, nur der osmanische Gesandte hielt sich zurück. Es war nicht seine Art von Unterhaltung, und als Scylla ihn gehen sah, fühlte sie sich erleichtert. Ohne den Aufpasser wäre ihr Unterfangen einfacher, die Menschen wurden sofort gelöster.
    Erst bei den letzten Takten, als die Witwe im Lied ihren neuen Mann erwählte, schwenkte sie herum und näherte sich Jakobus.
    Scylla ging aufrecht, das Kreuz durchgedrückt und

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