Kinder des Judas
eine Aeterna. Wir sind die Ewigen, liebe Scylla.« Er kostete von seinem Getränk und verzehrte danach das Gebäck. »Sehr fein, was Ihr mir da kredenzt«, lobte er und lächelte. »Verzeiht Eurem Vater, dass er es Euch nicht sagte, aber er hätte es noch getan. Sobald Ihr als seine Elevin angenommen worden wärt.« Marek räusperte sich. »Besser gesagt, Metunova hätte es Euch offenbart. Sie wäre es wohl auch gewesen, die Euch, nach altem Brauch, Eure erste Perücke geschenkt hätte.« Er betrachtete ihre roten Locken. »Es ist nicht schicklich für unsereins, die Haare zu zeigen wie ein einfacher Sterblicher. Wir werden Euch eine anfertigen lassen müssen … Doch nun genug davon. Ich sagte Euch in jener Nacht, dass die Mühle Geheimnisse birgt. Welche davon habt Ihr erkundet? Was wisst Ihr über uns?«
Sie goss sich ebenfalls etwas ein, wobei sie den Schlehenlikör bevorzugte. »Wir stammen von Judas Ischariot ab, dem großen zelotischen Freiheitskämpfer gegen die römische Besatzung. Er war ein Sikarier, ein mit dem Messer ausgebildeter Attentäter. Das ist der Grund, weswegen ich meine Ausbildung mit der Klinge erhielt.« Scylla legte eine Hand auf den Dolchgriff, der ein Andenken und eine Mahnung gleichermaßen war. »Judas war ein berühmter Attentäter, ehe er ein Jünger des Messias wurde. Nur ihm ist es zu verdanken, dass unser Herr Jesus Christus zu dem werden konnte, was er sein sollte: das Lamm Gottes, das durch den Tod die Sünden der Menschheit hinwegnahm.« Sie sah Marek fragend an. Marek nickte. »Es stimmt. Sein Verrat hat das Schicksal erfüllt, das dem Gottessohn zugedacht war. Als Lohn für die Tat schenkte der Allmächtige seinem Diener Judas das ewige Leben.«
»Doch warum wurde er in die Nacht verbannt? Verzeiht, aber die Texte meines Vaters sind sehr kompliziert verschlüsselt, und dieses Rätsel verstehe ich nicht.«
Er goss sich nach und probierte dieses Mal den Schlehenlikör. »Es war Judas’ Wunsch, fortan in der Nacht zu leben. Er wollte nie im Glanz der Sonne stehen. Ein Mörder und die Dunkelheit passen besser zusammen. Um seinem Gott und dem Messias auch weiterhin treu zu dienen, schwor er, dass er und seine Nachkommen sich für alle Zeiten um das Wohl der Sterblichen kümmern sollen.« Er nippte am Glas. »Darum sind wir alle Forscher, verehrte Scylla, und Wohltäter der Menschheit.«
»Ich weiß. Vater hat den Menschen aus der Umgebung viel geholfen … auch wenn er …« Sie seufzte.
»Gebt nicht ihnen die Schuld an dem, was geschah, verehrte Scylla. Sie hielten ihn für eines der Monstren, die wir ebenso töten, wie sie es tun. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die Euch«, er sah sie scharf an, »keinesfalls aus Wut undTrotz dazu bringen dürfen, Euch zu benehmen wie ein Upir. Ihr seid eine Aeterna.«
»Und aus diesem Grund darf ich kein Blut zu mir nehmen? Um nicht zu sein wie die Upire?« Scylla glaubte zu verstehen. Sie erinnerte sich mit Schrecken daran, wie viel sie davon in den letzten Jahren zu sich genommen hatte. Ohne Gewissensbisse, ganz im Gegenteil, sondern mit viel Genuss. Sie kannte jede Art von Geschmack des Lebenssaftes, von dem von Säuglingen bis hin zu Erwachsenen und Tieren; nur von Alten und Kranken hatte sie sich stets ferngehalten. Sie hatte gefürchtet, dass Leid und Tod auf sie überspringen könnten.
Marek fiel offenbar auf, dass sich ihr Gesichtsausdruck verändert hatte. »Ja. Wir verhalten uns nicht wie die Upire. Wir beherrschen uns und zügeln unsere Lust, um uns von ihnen abzuheben. Sie sind Kreaturen des Bösen, doch wir sind von Gott auserkoren worden, der Menschheit zu helfen.« Er schwenkte den Likör, wie er es zuvor mit dem Branntwein getan hatte, und senkte den Blick. »Doch Ihr müsst Euch keine Sorgen darüber machen, was vor meinem Besuch geschehen ist. Wir alle kennen gelegentliche … schwarze Zeiten.« Er lächelte ihr zu. »Doch damit muss von heute an Schluss sein. Ihr werdet enthaltsam leben. So befiehlt es uns das Gesetz unseres Ahnen, Judas Ischariot.«
Scylla atmete tief ein. Es würde ihr nicht leichtfallen. »Warum dürstet es uns überhaupt nach Blut, wenn es nicht rechtens ist, es sich zu nehmen, Marek?«
»Eine Prüfung, die uns von Satan auferlegt wurde. Die Gier überkommt uns jedes Jahr einmal mit abgründiger Macht, und sie zu besiegen ist nicht leicht.«
Scylla erinnerte sich an Giures Erzählung über das Massaker in einem Dorf.
Marek schaute sich im Zimmer um. »Wenn Ihr die
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