Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
Vom Netzwerk:
Marek prostete ihr zu, »denn Ihr werdet noch einiges lernen müssen, liebe Scylla. Ich möchte, dass Ihr einen hervorragenden Eindruck macht.«
    Scylla sah, dass sie ihn mit ihren Worten sehr glücklich gemacht hatte. »Eines möchte ich heute schon wissen, und ich nehme an, Ihr könnt es mir sagen. Damals, als die Cognatio zum ersten Mal abstimmte: Warum hat man mich abgelehnt? War es … deswegen?« Sie zog den Ärmel zurück und zeigte ihm das Feuermal.
    Marek wurde schlagartig ernst. »Nein.« Er setzte sich wieder, dabei blieb seine Aufmerksamkeit auf ihre Züge gerichtet. »Einige Mitglieder der Cognatio konnten … konnten der Sünde des Neides nicht widerstehen. Aber glaubt mir, alle, die damals gegen Euch gestimmt haben, bereuen, was sie getan haben. Versucht, es nicht persönlich zu nehmen.«
    Scylla lächelte kalt. »Ich werde nicht nachtragend sein«, log sie. Sie setzte sich, goss ihm und sich Likör nach, ehe sie sagte: »Beginnen wir mit meinem Unterricht über die Cognatio. Wie genau verhält es sich mit dem Bruderkuss?«

XII.
Kapitel
    21. Dezember 2007
Deutschland, Sachsen, Leipzig, 03.13 Uhr
     
    E
inen Monat lang lebten Marek und ich zusammen in den Mühlengewölben, und er lehrte mich viele Dinge über die Cognatio, jene eingeschworene Gemeinschaft, die Krankheiten und das Alter besiegen wollte. Es gab strenge Regeln
.
    Wenn beispielsweise ein neuer Baron in die Cognatio einziehen sollte, ohne dass zuvor ein Platz von selbst frei geworden war, musste einer der alten Barone gehen. Die Wahl dieses Opfers, das man auch »Lamm« nannte, wurde im Geheimen getroffen. Fanden sich mehr als sechs Verbündete, galt ihre Entscheidung und wurde von ihnen mit einem Bruderkuss verkündet. Das Lamm musste sich der Entscheidung fügen und ohne Gegenwehr in den Tod gehen. Jeden Baron und jede Baronin konnte dieses Schicksal treffen; ausgenommen war lediglich der Ischariot
.
    Wie oft wohl hatten die Neider meines Vaters hinter seinem Rücken versucht, eine Mehrheit gegen ihn aufzustellen, um ihn mit dem Bruderkuss zu verraten und in den Tod zu schicken? Doch vielleicht hatten sie dies auch nie gewagt, weil sie wussten, dass seine Forschungen für sie überlebenswichtig werden konnten. Stattdessen hatten die Verschwörer den Plan gefasst, ihn zu brechen, in dem sie ihm seine Elevin nahmen – mich
.
    Auch die Nachfolge unterlag Gesetzen. Jeder Baron und Ischariot durfte einen Eleven haben, der eines Tages seinen Platz einnehmen würde. Dieser Nachfolger musste der Cognatio im Alter von vierzehn Jahren präsentiert werden, auf dass überdie Eignung entschieden werden konnte. Wie bei mir. Kein Nachfolger durfte aber vor dem Erreichen des einundzwanzigsten Lebensjahrs durch Tod und Auferstehung zu einem wahren Kind des Judas gemacht werden – noch ein Grund, mich abzulehnen.
    Erst später erfuhr ich, dass nicht jeder Eleve dazu auserkoren war, ein Judaskind zu werden. So, wie auch nicht alle meine Nachkommen nach dem Tod zu neuem Leben erwachten, kam es immer wieder vor, dass ein Eleve sich an seinem einundzwanzigsten Geburtstag nach dem feierlichen Aufnahmeritual nicht wieder erhob. Ich muss an Eleonora denken. Wäre sie eine Aeterna geworden? Oder hatte Metunova Grund zu der Annahme, dass ihre Elevin ganz einfach sterben würde? Vielleicht war es ihr, trotz allem, was noch geschehen sollte, nicht darum gegangen, mich zu retten – vielleicht hatte sie lediglich ihre Nachfolge auf die bestmögliche Weise sichern wollen und gleichzeitig die Möglichkeit ergriffen, das Wissen meines Vaters zu erlangen
.
    Es war nicht erlaubt, dass mehrere Nachfahren eines Barons als Eleven in der Cognatio dienten. Es sei denn, ein Platz blieb, aus welchen Gründen auch immer, unbesetzt. Dann durfte der Ischariot seinen eigenen Eleven in die Lücke einsetzen und sich einen neuen nicht nur aus dem Kreis seiner eigenen Nachkommen, sondern auch denen der anderen Barone wählen
.
    Mir schwirrte der Kopf bei den ganzen Regularien
.
    Marek lehrte mich auch, was ich als Judastochter vermochte: mich schimmernd wie einen Geist zu machen, mich vom Wind tragen zu lassen, meine Gestalt zu verändern, die Blitze zu lenken und Unwetter heraufzubeschwören. Welche Macht wir doch besaßen!
    Es entging mir nicht, dass Marek mich begehrte. Er zeigte es mit Blicken, mit scheinbar zufälligen Berührungen bei den Scherzen, die wir machten. Ich hatte in den vergangenen Jahrenviel über Männer gelernt und wusste ihn zu lesen wie ein offenes Buch
.
    Im

Weitere Kostenlose Bücher