Kinder des Judas
Schwiegervaters entkleiden, bevor er sich auf sie stürzte und zerlegte wie Schlachtvieh. Viktor sah die frische Haut und die neugewachsenen Nägel.
Mit Einbruch der Dämmerung war es geschafft, und die Menschen wurden sichtlich unruhig. Die Sonne sank immer tiefer.
Trotz der Kälte standen Flückinger, Sigel, Baumgarten und den Soldaten die Schweißtropfen auf der Stirn. »Es sieht so aus, als müssten wir hier in mehreren Fällen von Vampirzustand sprechen«, raunte er seinen Begleitern zu. Er wusch sich die Hände, ließ sich die Schürze abnehmen und trocknete die Finger an einem Handtuch. »Anders kann ich es mir nicht erklären. Es widerspricht jedweden medizinischen Erkenntnissen!«
»Ich stimme Ihnen zu«, bestätigte einer der Offiziere. »Niemals zuvor habe ich etwas Derartiges gesehen, und ich kann nicht anders, als den Menschen zu glauben, über was sie sich beim Marquis beschwerten: Vampire!«
»Und diese Ungeheuer haben die Angewohnheit, bei Einbruch der Nacht die Lebenden heimzusuchen, war es nicht so?« Flückinger sah zu Libor, der sich verneigte und es bestätigte. »Welche Vorgehensweise empfiehlst du, Zingaro?«
Libor legte eine Hand an seinen Säbel. »Einen Pflock durchs Herz, köpfen und verbrennen, hochlöblicher Herr Regimentsfeldscherer. Danach sollte man die Asche in den Fluss werfen, damit er das Übel wegspült.«
Flückinger betrachtete die Reihe unverwester Leichen, die den Schnee mit ihrem Blut, das durch die Bretter der Särge sickerte, röteten. »Dann hackt ihnen die Köpfe ab und verbrennt sie auf einem Bett aus Kohle zu Asche. Die Körper packt ihr in die Särge und vergrabt sie wieder.« Flückinger nahm ein paar Münzen aus dem Gürtel und warf sie vor Libor in den Schnee. »Für deine Mühen. Und erklär dem Heyducken, was ich angeordnet habe. Damit sollte die Causa zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst sein.«
Libor verneigte sich und erklärte, was geschehen sollte, woraufhin die Menschen in lauten Jubel und erleichtertes Lachen ausbrachen.
Viktor verfolgte, wie Flückinger und seine Begleiter kurz an den geöffneten Gräbern standen, dann zu den Schlitten eilten und sich für die Abreise bereitmachten. Ihnen waren Medvegia und seine Monstren nicht geheuer.
Viktor eilte zu ihnen, so gut es ihm seine Behinderung erlaubte, und kaufte dem Schreiber alles an Tinte und Papier ab, was er mit sich trug. Gleich darauf rauschten die Gefährte davon.
Glücklich hielt Viktor seine erstandene Ware in den Armen. »Die Welt muss hiervon erfahren«, sagte er überzeugt und stapfte zu Libor, der seiner Sippe Anweisung gab, was zu tun war.
Das große Enthaupten begann.
22. Dezember 1731
Habsburgisches Territorium (serbisches Gebiet)
Lydia stach zu.
Sie traf Marek in den Unterarm, direkt ins Handgelenk, und zerschnitt die Sehnen. Die Finger um den Griff des Dolchs öffneten sich, und die Waffe fiel zu Boden.
Marek schrie auf, machte einen Satz nach hinten und betrachtete seine Wunde. »Das war nicht klug, Baronin«, grollte er und hielt den Schnitt mit der anderen Hand zu, damit nicht zu viel kostbares Blut herauslief. »Ihr habt Euch soeben Eurer eigenen Unsterblichkeit beraubt.« Er wollte sich nach dem Dolch bücken, aber Scylla stellte den Fuß darauf und hielt ihre eigene Klinge gezückt.
»Geh mir aus den Augen«, sprach sie bebend vor Zorn und Enttäuschung. »Derart von dir hintergangen zu werden ist …« Ihr fehlten die Worte, so sehr traf sie der Verrat des eigenen Halbbruders. »Benutzt hast du mich!«, spie sie ihm entgegen. »Alles, was du für mich getan hast, diente nur deinen eigenen Zwecken!«
Er lächelte überheblich. »Anfangs nicht, Scylla. Aber nachdem du mir deutlich gezeigt hast, dass ich mir keine Hoffnungen zu machen brauche, dich jemals an meiner Seite wissen zu dürfen, nahm ich einen anderen Weg. Du hast mir keine Wahl gelassen.« Marek ging langsam zur Treppe. »Ich hatte mir sehr gewünscht, mit dir die Ewigkeit zu verbringen, nachdem wir zusammen Vaters Aufzeichnungen entschlüsselt hätten. Doch wie es scheint, werde ich in hundert Jahren an euer beider Gräber stehen und einen Wein auf euch trinken.«
»Du hast die Formel bisher nicht gefunden.« Scylla schaute kurz zu Lydia, die ihren Dolch noch in der Hand hielt. »Und selbst, wenn es dir gelingen sollte – wie, glaubst du, solltest du sie ohne meine Hilfe verstehen?«
Marek ging die Stufen hinab. »Ich werde einen Weg finden, Scylla.« Er zeigte auf seinen herabgefallenen Dolch.
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