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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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»Bring ihn mir bitte mit zur Cognatio. Es ist ein zu schönes Stück, um es dir oder deiner alten Freundin zu überlassen. Vater hat ihn mir einst geschenkt.« Er zwinkerte ihr zu und verschwand lachend hinauf in die Küche, dann hörten sie die Tür zufallen.
    Scylla setzte sich und legte ihren Dolch auf die Schreibtischplatte. »Mein Vater hat mich gewarnt, den Mitgliedern der Cognatio zu vertrauen«, sagte sie leise und stützte den Kopf mit der Rechten. »Judas war ein Verräter, und nicht anders benehmen sich seine Kinder.«
    Lydia setzte sich ihr gegenüber, behielt die eigene Waffe in ihren Händen und betrachtete die Klinge. »Marek wird aus Eigennutz die Neuigkeit für sich behalten.«
    »Und du? Teilst du meine Ansicht, dass unsere Existenz ein Ende haben sollte, oder möchtest du es meinem Bruder gleichtun?«
    Lydia lächelte schwach. »Ich überlege es mir, Liebste.« Sie erhob sich und verstaute den Dolch. »Ich muss in Ruhe über das nachdenken, was ich gehört habe und was geschehen ist.«
    Scylla stand auf und ließ ihre Waffe absichtlich auf dem Tisch liegen, bevor sie auf die Baronin zuging und sie in die Arme schloss.
    Lydia drückte sie fest an sich. »Wir sehen uns bei der Cognatio, Scylla. Aber ich kann dir nicht sagen, ob wir dann Feinde oder Freundinnen sein werden«, flüsterte sie in ihr Ohr und zog ihren Oberkörper zurück, während sie die Hände weiter auf der Taille ruhen ließ. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht versprechen kann, mich nicht nach der Unendlichkeit zu sehnen, nachdem ich schon so lange auf Erden weile. Man … man gewöhnt sich daran.«
    Scylla schluckte. »Ich wünschte, ich hätte die Formel niemals erwähnt.« Nach der Wut auf Marek stieg Verzweiflungdarüber auf, dass sie ihre gute Freundin und Verbündete verlieren könnte.
    »Das hast du aber«, entgegnete Lydia, beugte sich vor und gab Scylla einen langen, innigen Kuss auf die Lippen, dann ließ sie sie los. »Wir sehen uns bald.«
    Scyllas Stimme versagte ihr den Dienst, und sosehr sie sich auch bemühte, es drang kein Satz, kein Wort, kein Ton hervor. Stumm verfolgte sie, wie die Baronin sich den Mantel überwarf und die Stiegen hinaufschritt, ohne sich noch einmal umzuwenden. Sie hörte, wie ein weiteres Mal die Tür ins Schloss fiel.
    Es wurde still in der Mühle, nur die Geräusche der unaufhörlich rotierenden Achse und das leise Ächzen der Windflügel waren zu hören.
    Scylla wurde sich bewusst, wie einsam das Leben sein würde, ohne den Rat und die Gesellschaft von Lydia. Seufzend sank sie in den Sessel und betrachtete die hohen Regale voller Bücher.
    Sie wusste, in welchem davon sich die Formel befand; und die Gleichung des ewigen Lebens stand zudem in den Aufzeichnungen ihres Vaters, die Scylla immer weiter entschlüsselte.
    Es wäre ihr ein Leichtes, sie zu verändern und sie Marek oder der Cognatio auszuhändigen, doch sie wollte es nicht. Scylla hatte die Formel studiert und sich gewundert, wie einfach die Lösung für den lebensverlängernden Trank doch war – wenn man die entsprechenden Voraussetzungen kannte. Darauf würde niemand von den Baroninnen und Baronen kommen.
    Oder vielleicht doch?
    »Diese Heuchler«, murmelte Scylla, stand auf und nahm sich ein Fernrohr aus dem Laboratorium. Auch wenn sie liebend gerne nach dem jungen Deutschen, Viktor von Schwarzhagen, geschaut hätte, sie konnte sich diesen Ausflug nicht erlauben.
    Diese Nacht und alle weiteren vor der Zusammenkunft musstender Wachsamkeit geopfert werden. Sie traute Marek durchaus zu, dass er es noch einmal versuchte oder sich – anders als Lydia glaubte – doch mit Carzic verbündete und sich dessen Umbrae bediente.
    Sie stand auf, wanderte durch die Bibliothek und berührte die Einbände und das Holz der Regale. Was für ein Zeichen wäre es wohl für die Cognatio, wenn sie das Land verließ und die Mühle in Brand setzte?
    Scylla schritt die Stufen hinauf, ging höher und höher, bis sie auf die Plattform gelangte, auf der sie so gerne verweilte und das Land ringsumher betrachtete. Wie früher, durch das Auge eines Fernrohrs.
    Die verschneite Gegend hinter dem Tannenwald lag still und friedlich da. Lydias Kutsche war als kleiner schwarzer Punkt zu erkennen, die Lampen vorne rechts und links am Kutscherbock sandten helle Strahlen auf den Schnee.
    »Ich werde das alles sehr vermissen«, sagte sie halblaut und lauschte auf die Mühlengeräusche. Gegen die Einsamkeit in der Fremde würde sie sich den Deutschen

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