Kinder des Judas
erreichte er den Friedhof, wo bei seiner Ankunft die Vorbereitungen schon in vollem Gange waren.
Er stand zusammen mit den Dörflern daneben, und auch Libor fand sich mit seiner Sippe ein, verharrte aber weiter weg vom Geschehen.
Im Vergleich zur ersten Untersuchung durch Glaser war es eine große Truppe, die D’Adorno dieses Mal gesandt hatte, bestehend aus drei Offizieren sowie drei Feldscherern, den Knochenflickern des Schlachtfelds. Alle trugen eindrucksvolle Uniformen, die sie wichtig aussehen ließen, darüber dicke Mäntel, Handschuhe und Mützen.
»Geleitet wird das Unternehmen von RegimentsfeldschererJohannes Flückinger, einem erfahrenen Kriegsmedicus des Löblichen Fürstenbuschlichen Regiments«, sagte Ignaz zu Viktor. Der Pope hatte sich schon vor ihm eingefunden und wieder jene Ikone mitgebracht, die schon beim ersten Exhumieren zum Einsatz gekommen war. Er zeigte auf den schmalen Mann mit dem dünnen Oberlippenbart, der leise Anweisungen gab. »Flückinger hat sich zusammen mit seinen Begleitern und dem Heyducken Jowiza sofort auf den Friedhof begeben, um seine Arbeit zu tun. Einige Bewohner sind beauftragt worden, einen zerlegbaren Tisch vom Schlitten zu laden und aufzubauen.«
Viktor war noch immer außer Atem und verfolgte, wie die Steine von den Gräbern der vermeintlichen Vampire gerollt, die Erde abgetragen und die Särge, in denen man die Toten begraben hatte, nacheinander ans Licht gehievt wurden.
»Sie entschuldigen, Herr von Schwarzhagen.« Ignaz begab sich auf einen angehäuften Erdhügel und hielt unentwegt betend seine Ikone vor sich, ein Junge schwang das qualmende Gefäß mit dem Weihrauch, der würzig in Viktors Nase stieg.
Flückinger betrachtete die Särge gelangweilt. »Leute aus Medvegia«, rief er auf Deutsch mit österreichischem Akzent, und Libor, der näher herangetreten war, übersetzte die Worte auf einen Wink des Popen hin, weil der seine Gebete nicht unterbrechen wollte. »Ihr habt euch an die hochlöbliche Obrigkeit gewandt, damit wir euch von der Plage der … Vampire, oder wie immer diese Geister heißen mögen, befreien.« Flückinger trat mit dem Fuß gegen den Sarg unmittelbar vor sich. »Ich kenne die Schauergeschichten, von denen sich Medicus Glaser hat beeindrucken und täuschen lassen. Eure Angst ist grundlos, denn es gibt keine lebenden Toten.« Flückinger ließ sich von seinen Begleitern über dem Mantel eine Schürze anlegen. »Wir sind hier, um den Beweis zu erbringen und nach der Krankheit zu suchen, die unter euch haust.« Er winkte zwei Dorfbewohner zu sich. »Öffnen«, befahl er.
Die Männer blieben stehen, sahen sich an und redeten gleichzeitig los.
»Verzeihen Sie ihnen, hochlöblicher Herr Regimentsfeldscherer.« Libor kam auf ihn zu und verneigte sich. »Sie fürchten sich zu sehr. Erst vor ein paar Tagen haben sie eine Frau an die Vampire verloren. Aber gegen eine geringe Entschädigung sind ich und meine Sippe bereit, für Sie die Arbeit zu tun.«
»Sieh an. Ein Zigar ohne Angst. Das kommt uns zupass.« Flückinger musterte ihn und seine Aufmachung spöttisch. »Abgemacht, auch wenn du aussiehst, als wärst du ein arger Halsabschneider und ein Schlitzohr.« Er zeigte auf den Sarg. »Weg mit dem Deckel und hoch mit dem Inhalt auf den Tisch.«
Viktor schob sich nach vorne in die erste Reihe, um besser sehen zu können.
Libor winkte weitere Zingaros zu sich, und sie taten wie geheißen. Sie schütteten das, was sich im Sarg befand, auf den Tisch.
Eine junge, gänzlich unverweste Frau polterte auf die Holzplatte, dazu fiel die halbe Leiche eines Säuglings von kaum acht Wochen heraus. Er war teilweise aufgefressen worden, wie man an den Wundrändern erkannte; es mussten große Zähne gewesen sein. Durch die heftige Bewegung fiel alte Haut von der Toten ab, darunter kam neue, rosafarbene zum Vorschein!
Flückinger bedeutete Jowiza, an seine Seite zu treten. »Wen haben wir hier?« Er schnitt das Totenhemd auf.
»Ihr Name ist Stana«, berichtete der Heyduck, und Libor übersetzte. Der Dorfobere war bleich. »Sie ist vor zwei Monaten nach einer dreitägigen Krankheit gestorben, kurz nach der Niederkunft. Sie«, der Mann würgte, »hat vor ihrem Tod ausgesagt, dass sie sich auf den Friedhof geschlichen und sich mit Vampirblut von Miliza bestrichen habe, damit sie nicht zu einer Vampirin wird.«
»Was ist mit dem Kind? Es sieht angefressen aus.«
»Die Hunde, Herr Regimentsfeldscherer. Wir haben den Leichnam beim ersten Mal nicht tief genug
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