Kinder des Judas
dort?«
»Das sagte man mir zumindest.« Karol lenkte die Kutsche auf das Stadttor zu und ließ die Pferde in einen langsamen Schritt verfallen. Die gerüsteten Wachen hielten sie an, zwei inspizierten das Innere, ehe sie die Fahrt fortsetzen durften.
Jitka drehte und wendete den Kopf in alle Richtungen, um so viel wie möglich von Belgrad zu sehen, und sog die Gerüche ein, die aus den unzähligen Gassen und Straßen auf sie zuströmten. Gewürze, Rauch, der Geruch von frisch zubereitetem Essen und der Duft von Kaffee mischten sich zu einer berauschenden Wolke; im nächsten Moment aber traf sie ein scharfer Fäkalgestank so stark, dass sie sich schütteln musste.
Vor lauter Umschauen vergaß Jitka, sich festzuhalten – und als die Kutsche einem unvorsichtigen Menschen auf der Straße auswich, wäre sie um ein Haar vom Bock gestürzt.
Sie reagierte blitzschnell, wie sie es unzählige Male zuvor im Spiel getan hatte. Jitka verlagerte rasch ihr Gewicht, der Arm zuckte an die Kante des Kutschendachs und hielt sich rechtzeitig fest. Jedes andere Kind mit weniger Kraft und Behendigkeit wäre zu Boden gefallen.
»Vorsicht! Das Pflaster ist hart«, warnte Karol sie ernst. »Deine Mutter würde es mir nicht verzeihen, wenn du blaue Flecken und Schrammen hättest.« Dann nickte er zufrieden. »Aber es freut mich zu sehen, wie flink und stark du bist, meine Tochter.«
Sie nickte und genoss die nun immer langsamer werdendeFahrt durch Belgrad. Zum einen musste Karol auf die Menschen achten, zum anderen gab es immer mehr sehr enge Stellen.
In den Straßen wimmelte es nur so von Leuten, Gruppen von Soldaten in schön anzusehenden türkischen Uniformen, Bürger in verschiedenen Trachten und Gewändern sowie merkwürdig verschleierte Gestalten. Das hatte es in ihrem Dorf so nicht gegeben, und sie fragte Karol danach.
»Es ist eine Frage der Religion, Tochter. Der Glaube der Muslime schreibt es den Frauen so vor«, erklärte er knapp. »Schau dir die Märkte an, die sie hier Basar nennen«, empfahl er.
Das tat sie gerne. In den Auslagen erregten viele Dinge ihre Neugier, von denen Jitka nicht einmal die Namen kannte. Gewürze, Gemüse und eingelegte Früchte stapelten sich, es gab Kleidung, Werkzeug und unendlich vieles mehr. Am liebsten wäre sie sofort von der Kutsche gestiegen und hätte ihre Neugier durch einen Spaziergang befriedigt, der sie mitten in dieses Treiben führen und das Neue hautnah erleben ließ.
»Schau dir diese Fassaden auf der rechten Seite der Straße an«, sagte Karol, der ihr immer wieder einen Blick zuwarf und sie prüfend betrachtete. »Da wohnen reiche Händler.«
Jitka wären die wunderbaren Ornamente beinahe entgangen. Die Türken hatten einige Gebäude umgestaltet, sie mit geschwungenen Arkaden und floralen Verzierungen sowie Mosaiken versehen; gleich danach kamen sie an einer Moschee vorbei.
»Das ist die Cohadži-Moschee. Sie haben sie nach ihrem Stifter, dem Tuchkaufmann Hadži-Alija, benannt. Es wäre doch lustig, wenn die christlichen Kirchen ebensolche Namen trügen. Die Jitka-Kathedrale, wie klingt das?« Karol lenkte die Kutsche vor ein Haus, brachte die Pferde zum Stehen und stieg ab. Dann streckte er die Arme nach Jitka aus. »Komm, ich fange dich.«
Sie sah auf das Gotteshaus. »Ist Mutter da drin?«
»Nein, sicherlich nicht. Aber ein paar Straßen von hier wohnt ein Freund, der uns helfen kann. Aber was ist nun – traust du dich etwa nicht?«
Das ließ das Mädchen sich nicht zweimal sagen. Mit einem breiten Grinsen sprang sie ihrem Vater tollkühn entgegen, der sie sicher fasste, sich einmal mit ihr um die eigene Achse drehte und sie dann auf den Boden stellte. Jitka musste lachen.
»Können wir sofort zu ihm gehen?«
Karol nahm sie bei der Hand und schritt mit ihr auf eine Teestube zu. »Du wirst hier auf mich warten.« Er schlug den Vorhang zur Seite und trat ein, zeigte auf einen Platz in einer Ecke und winkte einen orientalisch aussehenden Mann mit einer roten Filzkappe und einem weiten weißen Gewand zu sich; sie wechselten ein paar Worte. »Ich habe dir einen Chai, Halva und türkischen Honig bestellt. Wir essen etwas Richtiges, sobald ich zurück bin.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ die Stube.
»Aber was ist mit unserer Kutsche?«, rief sie. »Wenn sie nun gestohlen wird?«
Karol grinste. »Mach dir keine Sorgen. Solange diese Schimmel angespannt sind, wird es niemand wagen, unser Gefährt zu entwenden.« Er winkte noch einmal und ging.
Jitka
Weitere Kostenlose Bücher