Kinder des Judas
beobachten zu können.
In diesem Moment kehrte Karol zurück und lief über die Straße, sein Gesicht war ernst. Jitka wurde noch unruhiger, denn weit und breit entdeckte sie nichts von ihrer Mutter. Oder von dem Upir.
So schnell sie konnte rannte Jitka zum Ausgang. »Vater, gib acht!«, rief sie. »Da ist ein …« Sie konnte gerade noch verhindern, dass sie das Wort über den ganzen Platz brüllte, und zischte stattdessen: »Ein Upir!«
Karol blieb wie angewurzelt stehen und sah sich schnell um. »Wo?«
»Hinter der Kutsche.« Jitka hatte einen trockenen Mund. Sie fürchtete, dass das Monstrum ihren Vater hinterrücks anfiel. »Wir müssen die Wachen holen! Ich kann …«
»Nein, Tochter«, unterbrach Karol sie mit harter Stimme. »Du wirst nichts dergleichen tun. Geh zurück und sag kein Wort – zu niemandem! Ich schaue lieber selbst nach dem Upir.« Er ging langsam um das Gefährt herum.
Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm und lauschte an der Kutschentür. Die rechte Hand hatte er gegen die Seite des Gefährts gestützt. Er murmelte etwas und fuhr mit den Fingern an dem glattpolierten Holz auf und ab.
Karol hatte seine linke Hand auf den unterarmlangen Dolch gelegt, der an seinem Gürtel hing. Als er nun erkannte, wer vor ihm stand, entspannte er sich ein wenig. Nicht nur diePerücke, sondern vor allem die sehr teure Kleidung hatten ihn sofort erkennen lassen, um wen es sich bei dem Besucher handelte.
»Sie hat Euch gesehen«, sagte er auf Altgriechisch. »Habt Ihr den Verstand verloren?«
»Die einen sagen so, die anderen so«, erwiderte der Mann in der gleichen Sprache und wandte sich schmunzelnd um. »Ihr habt mir etwas sehr Wichtiges vor der Nase weggeschnappt, mein Lieber! Seid gewiss, es war nicht die Neugier, die mich hierherbrachte, sondern nur aufrechte Sorge. Ich wollte schauen, wie es ihr geht.«
»Eine Lüge bleibt auch dann eine Lüge, wenn sie sich in schöne Worte hüllt, Baron!«
»Wie überaus freundlich von Euch, mich so zu ehren! Aber dieser Titel gebührt mir noch nicht. Eleve wäre richtiger. Und davon abgesehen: Was mag schwerer wiegen, eine Lüge oder ein Verstoß gegen die Gesetze?«
»Einem Baron müsste ich bei so einer Beschuldigung Rede und Antwort stehen – einem Eleven sicher nicht. Aber seid trotzdem versichert: Erstens ist es mein Recht, zweitens geschah es nicht gegen den Willen des Kindes.« Karol nahm die Finger vom Dolchgriff. »Ich empfehle Euch, das Weite zu suchen. Das Mädchen untersteht – da ich ihr leiblicher Vater bin – meiner Obhut.«
»Wie recht Ihr habt.« Der Eleve deutete eine Verbeugung an. »Auch wenn Ihr, das sei mir als Einwurf gestattet, Eurer Sorgepflicht ein wenig spät nachkommen möchtet. Natürlich würde niemand wagen zu unterstellen, dass es Euch nicht schert, wie es dem Menschenkind ergeht … und doch dachte ich, dass es meine Pflicht ist, auf ihr Wohlergehen zu achten.« Er verschränkte die Arme auf dem Rücken, lehnte sich vor und kam mit dem Mund dicht an Karols Ohr. »Schließlich habe ich es die letzten acht Jahre so gehalten. Im Gegensatz zu Euch. Der Janitscharhat das Mal an ihrem Unterarm gesehen und stellte sehr neugierige Fragen, wie mir zu Ohren kam, Baron. Wäre ich nicht zur Stelle gewesen, als sie von den Türken des Nachts durch den Nebel gehetzt wurde, müsstet Ihr nun nicht nur um Eure kleine Mätresse trauern.«
Seine Worte brannten wie Salz in einer Wunde. Karol spürte, wie Wut in ihm aufstieg, und musste sich beherrschen, weder mit Worten noch mit anderen Mitteln zurückzuschlagen. »Ich habe mich um den Janitscharen gekümmert.«
»Vermutlich so gründlich wie um das Gehöft des armen Bauern.« Er lächelte bösartig. »Ich war da und habe es mir angeschaut. Wie viele Blitze sind dort niedergegangen? Es sah aus, als hätten die Engel des Herrn alles Lebendige darin gerichtet. Bei unserem allmächtigen Schöpfer, Ihr versteht es, Spuren zu beseitigen! Niemand wird jemals mehr nach der kleinen Jitka fragen, sondern sie für ebenso tot halten wie die anderen.«
»Ich habe getan, was getan werden musste, aber wie könnt Ihr es wagen …«
Der Mann hob die Hand. »Ich habe kein Verlangen danach, mit Euch zu streiten, Baron. Kümmert Euch einfach um sie, wie Ihr es von Anfang an hättet tun sollen, und wiederholt keine alten Fehler.« Er warf ihm einen langen, vorwurfsvollen Blick zu, dann pochte er gegen die Kutschenwand. »Es riecht nach frischem Fleisch. Was fahrt Ihr darin spazieren? Den Janitscharen
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