Kinder des Judas
Gelehrten herangewachsen, die es bereits mit manchem Professor an einer Universität aufnehmen könnte.
Doch nicht nur ihr Verstand hatte sich geschärft, auch ihr Körper veränderte sich. Scylla wurde zu einer jungen Frau, deren Brüste sich bereits unter ihrem Hemd abzuzeichnen begannen. Ihr Gesicht hatte seine runde Kindlichkeit verloren und war schmaler geworden; sie besaß nun eine unglaubliche Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.
»Das, was ich aus den Geschichten über sie kenne«, sagte Scylla. »Upire sind Ausgeburten des Aberglaubens.« Früher hattesie noch daran geglaubt, dass es die Kreaturen der Nacht wirklich gab, so wie in jener Nacht, als die türkischen Soldaten im dichten Nebel angefallen und getötet worden waren. Inzwischen nahm sie aber an, dass es ein wildes Tier gewesen war, vielleicht ein tollwütiger Wolf, der sie durch eine Fügung des Schicksals vor der Gefangennahme bewahrt hatte.
Karol hob die Augenbrauen. »Hatte ich dir nicht aufgetragen, dass du dich mit ihnen befassen sollst?«
»Und genau das habe ich getan, Vater. Aber ich konnte keine wissenschaftlichen Beweise für ihre Existenz finden. Die meisten Gelehrten halten Upire und andere Untote für Hirngespinste abergläubischer Menschen. Diese Überzeugung teilt auch ein osmanischer Verwalter, dessen Bericht an den Sultan ich in einem Büchlein gefunden habe. Er berichtet darin von den Schauergeschichten der einfachen Bevölkerung in den Gebieten hier.« Scylla trank den letzten Schluck Milch und wischte sich den weißen Rand um die Lippen weg.
»Das ist keine Antwort, Tochter.«
Scylla sah ihren Vater überrascht an. Worauf wollte er hinaus? »Glaub mir, ich habe mich mit diesen Dingen befasst, wie du es wolltest, Vater. Aber sie sind nicht bedeutsam für eine Wissenschaftlerin. Es ist Aberglaube.« Sie griff nach dem Brot. »Dafür habe ich keine Verwendung.«
»So? Keine Verwendung? Hast du
das
aus den Schriften gelernt? Dich dem zu verschließen, was du selbst erlebt hast, Tochter?«, sagte Karol mit veränderter Stimme und verlor Güte und Freundlichkeit aus dem Gesicht. Wieder kam das Dunkle an die Oberfläche, das Scylla schon so oft bemerkt hatte.
»Nein«, stammelte sie, verwundert über seine Heftigkeit. »Nein, ich …«
Er schaute ihr in die Augen. »Weil du vor lauter neuem Wissen den Glauben daran verloren hast, bedeutet es nicht, dass Upire deswegen nicht existieren. Komm mit, Tochter. Heute werde ichdich lehren, wer einer der größten Feinde der Menschheit ist. Was man mit eigenen Augen sieht, darf man glauben.« Wortlos wandte er sich um und ging hinaus.
Vor der Mühle wartete die angespannte Kutsche. Der Ausflug war also geplant und keine spontane Idee, wie Scylla zuerst vermutet hatte.
»Komm, kleine Waise«, forderte Karol sie auf, als er sich auf den Kutschbock schwang, und langte nach der Peitsche. »Wir helfen den Dörflern, sich von einem Schädling zu befreien.«
Kaum hatte sie Platz genommen, rollten sie los.
»Upire«, erklärte er, nachdem sie den Wald verlassen hatten, »sind überall. Und es gibt sie in allen möglichen Arten und Formen. Auf den unerfahrenen Beobachter mögen manche von ihnen harmlos wirken wie ein Tier oder ein Leuchten im Nebel. Aber glaub mir, es gibt viele, die sehr gefährlich sind.«
»Weil sie den Menschen das Blut aussaugen?«
»Auch das. Manche sind so flüchtig wie Schatten und vermögen es doch, Feuer zu speien. Das sind die gefährlichsten von allen. Wir … die Menschen nennen sie Umbrae.«
Scylla hörte gebannt zu und wunderte sich, dass sie von diesen Upiren noch nie etwas gehört hatte. Andererseits wusste sie bereits aus den Aufzeichnungen, dass beinahe jedes Dorf unter einer anderen Art von Untoten zu leiden glaubte. Sie hatte dies auf die Vorstellungskraft der Geschichtenerzähler geschoben – aber vielleicht hatten all diese Berichte doch einen wahren Kern?
»Es gibt also … lebendige Schatten?«
»Zu Lebzeiten sind sie schlechte Menschen, die nach ihrem Tod vom Teufel zum Umbra gemacht werden. Sie wirken wie Schatten, Tochter, doch sie sind aus Fleisch und Blut wie du und ich. Deswegen können Wissenschaftler wie wir sie auch erforschen, ganz egal, ob sie Upire genannt werden, Vampire oder wie auch immer.«
Scylla verstand dies als Herausforderung, ihren Wissenshungerunter Beweis zu stellen. »Dann stimmt es tatsächlich, dass jedes Dorf unter einer anderen Art von Upir leidet?«
Karol nickte. »Sie eint der Durst nach Blut und die Furcht vor der
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