Kinder des Judas
abgeschlagenen Kopf. »Wir verbrennen ihn.«
»Lass ihn mich untersuchen, Vater!«, bat sie eindringlich.
»Nein, er ist zu gefährlich.« Karol wollte den Körper so rasch wie möglich als Aschehäuflein vor sich sehen. Dann besann er sich offenbar anders. »Du hast recht. Geh nach unten, Scylla, und bereite den Kopf für eine Untersuchung vor.
Nur
den Kopf. Trenne die Flüssigkeiten sauber. Ich bin bald bei dir.«
Er öffnete die Tür und schleifte den Körper ins Freie, baute aus Stroh und Reisig einen Scheiterhaufen und legte den Umbra darauf, ehe er ihn mit Kohlen überschüttete und Petroleum darübergoss.
Eine Stichflamme loderte in die Höhe, knisternd und knackend breitete sich das Feuer über den Leib aus. Gelegentlich flackerten die Flammen orange und grün, was er für eine Folge des Elixiers in den Adern des Upirs hielt. Vielleicht ließen sich aus dem Blut Erkenntnisse gewinnen, mit was Carzic gearbeitet hatte.
Er berührte die Wunde am Hals, die gleich nach dem Biss des Umbra aufgehört hatte zu bluten. Der Erfolg seiner eigenen lebensverlängernden Mixtur ließ sich nicht verleugnen.
Karol entsann sich des Geruchs jener dritten Person in der Bibliothek, den er gegen Ende des Kampfes nicht mehr wahrgenommen hatte. Diese Person hatte die Luke verriegelt, um Scylla zu schützen. Es war die gleiche, die seine Tochter damals schon vor den Türken bewahrt hatte.
23. Juli 1676
Osmanisches Tributland
Scylla war die Einsamkeit leid und hatte den festen Willen, sich mit Giure zu treffen. Sie wusste, wie sie der Mühle entkommen konnte – den Ritt auf einem Drehflügel hatte sie bereits einmal geschafft, er würde ihr erneut gelingen.
Karol hatte keine Ahnung davon, dass Giure und sie noch immer heimlich Briefe tauschten. Der Junge heftete sie mit einer Stange hinten an die Fensterrahmen, und sie musste die Zettel einfach bei Gelegenheit abpflücken und durch eigene ersetzen. Scylla war stolz, ihren Vater überlistet zu haben.
Es war gegen Mittag. Karol hatte bereits vor Morgengrauen angespannt und eine Reise mit unbekanntem Ziel unternommen – und sie allein gelassen!
Der Riegel vor dem Ausstieg zur Luke bot keinen wirklichen Widerstand und war einfacher zu knacken als die Schlösser vor den Ausgängen im Erdgeschoss.
Sie stand auf der Plattform und genoss die warme Luft, den Schein der Sonne und das Singen der Vögel. »Wie wunderschön«, flüsterte sie, schloss die Augen und hob den Kopf, um die warmen Strahlen auf der Haut zu spüren. Bei aller Liebe zur Wissenschaft und zur Alchemie, ihr fehlten die Stunden im Freien.
Scylla trat an den Rand der Brüstung. Am Fuß des Turms stand Giure und winkte ihr freudig, dann hob er einen Korb hoch. Sie strahlte. »Was ist darin?«
»Etwas zu essen«, rief er hinauf und lachte. »Komm! Ich möchte dir eine verwunschene Stelle im Wald zeigen. Das Richtige für ein Liebespaar wie uns. Und ich möchte dich tanzen sehen. Du hast es mir versprochen.«
Scylla lächelte schüchtern und errötete. Es war für sie ungewohnt, über unwissenschaftliche Dinge zu sprechen, und dieAndeutung, dass zwischen ihr und dem jungen Hirten mehr bestand als nur Freundschaft, fand sie in gewisser Weise aufregend. Sie dachte an diese Sache zwischen Mann und Frau, über die Karol und sie noch niemals gesprochen hatten. »Alles hier ist verwunschen«, antwortete sie und überspielte ihre Verlegenheit. »Sogar die Mühle und die Scheune.« Sie sprang auf die Brüstung.
»Was tust du da?«, rief Giure erschrocken und schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. »Wenn du stürzt, kann dich nicht einmal mehr dein Vater retten.«
»Ich komme zu dir runter,
das
tue ich.« Scylla fand seine Sorge rührend. Bei seinem Anblick spürte sie ein Kribbeln, ein Flattern in sich drinnen, das sie nicht zu deuten wusste. Medizinisch kamen dafür einige Erklärungen in Frage, doch sie wusste, dass sie kerngesund war. Konnte es vielmehr sein, dass es jenes Gefühl war, was die Dichter Liebe nannten?
Die Windmühlenflügel kreisten träge, die Welle quietschte leise und rhythmisch. Scylla fixierte einen von ihnen und bereitete sich auf den Sprung vor.
»Nein, Scylla! Tu das nicht!«, schrie Giure jetzt entsetzt.
»Es gibt keinen anderen Weg«, erwiderte sie. »Er hat ansonsten alles verschlossen.« Sie spannte die Muskeln an, denn gleich war es so weit. »Außerdem ist es ein Kinderspiel.«
Ein heftiger Wind kam auf, mit einem mahlenden Geräusch verschob sich die Spitze des
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