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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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sich die Position der Schlösser nicht verändert hatte. Karol konnte nicht durch die Scheune oder den Turm auf die Plattform gelangt sein. Ihr fiel ein, dass sie auch seine Kutsche nicht bemerkt hatte.
    Rational betrachtet gab es keine Möglichkeit, wie er ins Innere hatte gelangen können. Aber was als Erklärung blieb, war zu ungeheuerlich und unlogisch, um es überhaupt in Betracht ziehen zu können: Ihr Vater musste Kräfte besitzen, über die kein gewöhnlicher Mensch verfügte!
    Sosehr Scylla nachdachte, es wollte ihr nichts anderes einfallen, und das führte sie zur nächsten Frage. Was verlieh ihm diese Macht, unhörbar und an allen Hindernissen vorüber auf die Turmspitze zu gelangen?
    Bis sie im Laboratorium des ersten Geschosses angekommen waren, schien ihr Vater sich wieder beruhigt zu haben. Er kümmerte sich schweigend um ihre Platzwunde und nähte sie mit ein paar schnellen, präzisen Stichen. »Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass du eine Verletzung davonträgst«, entschuldigte er sich schließlich. »Du hast uns also gehört, als die Baronin und ich an deinem Bett standen?«
    Scylla überlegte kurz, die ganze Wahrheit zu erzählen – dass sie die Cognatio belauscht hatte –, doch nach Karols Ausbruch schien es ihr ratsamer, es nicht zu tun. »Ich tat so, als würde ich schlafen, aber ich hörte jedes Wort«, sagte sie. »Was ist die Cognatio?«
    Karol sah sie ernst an, so als wäre er immer noch nicht sicher, ob er ihr vertrauen könnte. »Ein geheimer Zusammenschluss von Gelehrten, wie du und ich es sind«, sagte er dann. »Wir sind dreizehn Männer und Frauen, die sich ganz der Forschung verschrieben haben, zum Wohle der Menschheit. Unseren Obersten nennen wir Ischariot, er wird aus unseren Reihen für eine gewisse Zeit erwählt, leitet die Geschicke und ordnet neue Forschungsziele an.«
    Scylla nickte aufmerksam und tat so, als wären dies für sie Neuigkeiten.
    »Unsere Nachfolger, die Eleven, müssen von der Cognatio anerkannt werden, sonst ist es ihnen nicht erlaubt, eines Tages an die Stelle des Mentors zu treten.«
    Sie spielte mit ihren Fingernägeln, da die Erklärung eine unangenehme Frage nach sich zog. »Was wäre, wenn …«
    »… du nicht akzeptiert wirst?«, vollendete er den Satz.
    »Ja.« Sie schluckte schwer und schaute sich im Raum um. »Muss ich dann von hier fort?«
    Karol hustete. »Niemals. Mein Platz in der Cognatio würde leer bleiben, bis der Ischariot ein neues Mitglied bestimmt.« Eine weitere Lüge. Er tupfte das Blut aus den Haaren und gab Alkohol über die Wunde, um sie nochmals zu reinigen. »Wir treffen uns einmal im Vierteljahr und beraten über unsere Forschungsergebnisse und wie wir die Menschen vor Krankheiten bewahren können.«
    »Warum tut ihr das im Verborgenen?«
    »Weil«, er stellte sich vor sie, »es sehr schnell geschehen kann, dass man unsere Absichten missdeutet. Leider ist der Aberglaube unser größter Feind. Der Aberglaube und die Ablehnung aus Unwissenheit. Du hast gesehen, wie es in unseren Laboratorien zugeht, und was denkst du, wie einfache Gemüter auf den Anblick von Leichen reagieren? Aber diese Arbeit ist notwendig, und deswegen die Geheimnistuerei.« Karol sah sie scharf an.»Und aus diesem Grund möchte ich nicht, dass du dich mit dem Ziegenjungen einlässt. Es könnte sein, dass du aus Versehen zu viele Dinge preisgibst.«
    »Niemals«, widersprach sie. »Ich mag Giure, aber ich würde ihm nie …«
    »Ich sagte nicht, dass du es absichtlich tust«, fiel er ihr in die Rede. »Versprich es mir, Scylla: Halte dich von ihm fern.«
    Sie versprach es … und log dabei. Niemals würde sie den einzigen Freund aufgeben, den sie seit Jahren gehabt hatte.
    Karol lächelte, und sein Gesicht nahm nun endgültig wieder die Freundlichkeit an, die sie kannte. Das Dämonische war gewichen. »Dann komm. Ich werde dich in den nächsten Wochen auf die Prüfung vor der Cognatio vorbereiten und dir mehr über uns berichten. Ende des Jahres wird es so weit sein.« Er nahm ihre Hand und führte sie in das Stockwerk darunter. »Ich habe dir etwas mitgebracht, Tochter.«
    Gemeinsam betraten sie den Examinierungsraum, der unmittelbar an die kleinen Kammern grenzte, die als Verliese für gefangene Versuchstiere dienten.
    Auf dem Steintisch lag eine nackte Frau, welche die fünfzig Jahre deutlich überschritten hatte. Sie war stark übergewichtig, die großen Brüste hingen wie schlaffe Säcke rechts und links herab. Die Bräune von Gesicht und Unterarmen

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