Kinder des Judas
nur im Sommer, wenn das Holz sich ausdehnt, Vater.«
»Sehr merkwürdig.« Karol ging nach oben. »Ich sehe nach, was passiert ist.« Er wollte seiner Tochter glauben, die sich sicherlich nicht aus freien Stücken auf eine Fahrt mit der Windmühle einließ. »Warte, ich komme mit«, hörte er Scyllas Stimme.
»Nein, bleib unten und wärme dich«, befahl er. Erst wollte er sich selbst überzeugen, dass mit der Luke etwas nicht stimmte. Sie sollte keine Gelegenheit bekommen, eine Lüge zu verbergen, indem sie den Ausstieg rasch verkeilte.
Karol betrat das Arbeitszimmer, eilte an den Büchern vorbei zur gegenüberliegenden Treppe – und vernahm das Rascheln von Seiten, die eilig umgeblättert wurden. Er erstarrte und lauschte. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Außer seiner Tochter und ihm war noch jemand im Turm!
Karol schlich, mit gezogenem Messer, vorsichtig zurück und sah den Regalgang hinab.
Mitten in der Gasse stand ein schwarzer Schatten, der ein Buch in der Hand hielt und ungeduldig darin blätterte, ehe er es zurückstellte und das nächste hervorzog.
Karol erkannte den Eindringling: der Umbra, den Carzic hatte entkommen lassen! Vermutlich suchte er in den Büchern nach der Rezeptur des Mittels, dass der Baron ihm gegeben hatte, um seine Existenz zu verlängern. Ein Schattenkriecher lebte üblicherweise nicht länger als drei Monate, doch in denen stürzte er sich auf alles, was ihm vor Klauen und Zähne lief.
Carzics Versuche haben nicht nur das Leben des Umbra verlängert
, erkannte Karol,
sie haben die Kreatur auch verändert. Aus dem reißenden Tier ist etwas geworden, was weiter denken kann als bis zu seiner nächsten Beute!
Und das bedeutete vor allen Dingen eins: Dieser Umbra war noch gefährlicher als normale Exemplare seiner Gattung!
Noch hatte ihn der Schattenkriecher nicht bemerkt, doch sobald das geschah, würde es unangenehm werden. Die Mühle konnte bei dem bevorstehenden Kampf abbrennen, und wenn nicht sein ganzes Zuhause, dann doch auf jeden Fall die kostbaren Bücher in der Bibliothek. Karol hasste diese Sorte von Upiren und ihre besonderen Fähigkeiten.
Er zog den Kopf zurück, schlich in der Regalreihe hinter dem ungebetenen Besucher entlang und bereitete seinen Angriff vor. Er wollte dem Upir von hinten den Kopf abschlagen, über die Buchrücken hinweg – da stieg ihm ein bekannter Geruch in die Nase. Eine dritte Person befand sich in der Bibliothek. Eine sehr vertraute.
Und es handelte sich dabei nicht um Scylla!
Karol verdrängte den Gedanken. Um den anderen ungebetenen Besucher würde er sich später kümmern. Nun spähte er durch den armdicken Spalt im Regal vor sich – und sah, dass der Umbra verschwunden war!
Im gleichen Moment knarrte und wackelte das Regal. Karol hob den Kopf und gerade noch den Arm mit dem Messer, da stürzte sich der Gegner auch schon auf ihn.
Er wurde unter dem Körper begraben, der einen intensiven Fellgeruch verströmte; gleichzeitig spürte er die Klauen an seinem Hals. Die spitzen Enden der Nägel bohrten sich durch das Fleisch, und der Umbra grollte zufrieden.
Karol stach mit dem Messer zu. Die Schneide glitt seitlich in den Hals des schwarzen Wesens, er drehte die Klinge und zog sie ruckartig nach vorne. Ein Blutschwall ging auf sein Antlitznieder, und er schloss den Mund, um nichts davon schlucken zu müssen.
Im nächsten Moment wurde er von dem dumpf brüllenden Upir angehoben und durch den Raum geschleudert. Karol durchbrach zwei Regalwände, verlor seine Perücke und verspürte unglaubliche Schmerzen in seinem Rücken, als er hart auf dem Boden aufschlug. Doch er durfte sich nun keine Schwäche erlauben!
Karol sprang auf die Beine und schaute sich im Raum nach dem Umbra um. »Vater?«, vernahm er Scylla von unten. »Was ist denn?«
»Nichts geschehen. Ich war nur unachtsam«, rief er zurück. »Die Luke klemmt wirklich. Geh ins Laboratorium und beende deine begonnenen Experimente.« Karol spähte in die Schatten, in denen sich der Upir hervorragend verbergen konnte.
»Du klingst merkwürdig, Vater. Was ist mit dir?« Schritte näherten sich der Treppe zum Arbeitszimmer.
»Geh ins Labor«, befahl er hart.
»Sofort!«
Karol erschrak, denn unbemerkt von ihm war der Umbra aus einer anderen dunklen Ecke getreten, griff schmerzhaft in seine Haare und schleuderte ihn ein weiteres Mal durchs runde Zimmer.
Karol prallte hart gegen die Wand und verlor beinahe sein Messer. Der Upir hatte sich durch die Schnittwunde im Hals nicht
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