Kinder des Judas
Turms und richtete sich neu aus, in Richtung der Böen. Sie erfassten auch Scylla und bliesen sie von der Mauer zurück auf die Plattform.
Sie war zu überrascht und konnte sich nicht dagegenstemmen, aber sie fing sich ab, so dass sie wenigstens nicht auf die Steine oder durch die geöffnete Luke stürzte. Die Flügel drehten sich nun schneller, und über dem nördlichen Wald zogen sich wie aus dem Nichts dunkelgraue Gewitterwolken zusammen.
Scylla starrte sie an und erinnerte sich an das Gehöft des Großbauern Lubomir.
»Scylla, geht es dir gut?«, brüllte Giure zu ihr hinauf, und sie streckte den Kopf über die Mauerkrone, um ihm zu winken.
»Mir ist nichts geschehen.« Sie kniff die Augen zusammen, weil der Wind in wenigen Sekunden zu einem Sturm aufgefrischt war. Die Sonne verschwand hinter den Wolken, es wurde beinahe Nacht.
Giure hielt seinen Hut fest, die Kleidung flatterte. »Ich muss zurück, Scylla«, schrie er. »Ich kann meine Ziegen bei dem Unwetter nicht allein lassen.« Er hob den Korb in die Höhe. »Aber wir holen es nach. Du wirst den Platz lieben.« Er wandte sich um und rannte den Hügel hinab.
»Nein«, flüsterte Scylla enttäuscht, dann starrte sie in den pechschwarzen Himmel. »Verdammte Wolken! Seid ihr mit meinem Vater verbündet?«
Das gewaltige Windrad kreiste schnell und schneller, die Leinwand blähte sich gefährlich, und ein vielstimmiges Pfeifen setzte ein, als sich die starke Luft zwischen den Streben fing.
»Dann gibt es eben einen Sturm«, murmelte Scylla trotzig und kämpfte sich zurück auf die Brüstung, fixierte die wirbelnden Rahen vor sich und sprang –
– als eine Hand sie packte und ruckartig nach hinten schleuderte.
Dieses Mal half ihr die Gewandtheit nichts, zu schnell war sie angegriffen worden. Sie prallte auf den Boden und schlug sich den Kopf an. Etwas Warmes sickerte ihren Nacken herab, und benommen sah sie auf die Umrisse eines Mannes, der sich über sie beugte.
»Umbra!«, ächzte sie und langte nach ihrem Dolch, um sich gegen den Upir zu verteidigen.
»Du Närrin!«, wurde sie angebrüllt und erkannte die Stimme ihres Vaters. Er packte sie an den Schultern und riss sie auf dieBeine. »Habe ich dir nicht verboten, allein auf die Plattform zu gehen?« Er wand ihr den Dolch aus den Fingern und warf ihn auf den Boden. »Du wolltest diesen Jungen treffen, habe ich recht?«
Scylla war starr vor Schreck. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Karols Gesicht war verzerrt, und die Blitze warfen Schatten darauf, die ihm jede Menschlichkeit raubten. Wo war er so rasch hergekommen? »Vater, ich …«
Sein Griff wurde schmerzhaft. »Wage es nicht, mich anzulügen, Scylla!«, grollte er. »Wie lange geht das schon so mit dem Ziegenhirten?«
»Er ist mein Freund«, verteidigte sie ihn und verstummte. Der Anblick ihres wütenden Vaters überwältigte sie, raubte ihr die Sprache. Sie erkannte an seinen Augen, dass er kurz davor stand, restlos die Beherrschung zu verlieren.
»Er ist ein Dörfler mit einer nichtsnutzigen Familie«, sagte er nun leiser, aber mit deutlich drohendem Tonfall. »Wenn du dich noch einmal mit ihm triffst, werde ich mir etwas Besonderes für dich und ihn einfallen lassen. Du weißt, dass ich Tränke zu mischen verstehe, Tochter.« Er ließ sie nicht einfach nur los, sondern stieß sie regelrecht von sich. »Hinunter mit dir ins Laboratorium. Es gibt Arbeit.«
»Aber ich …«
»Hinunter mit dir!«
, rief er und zeigte auf die Luke.
Nach dem ersten Schrecken kehrte Scyllas Widerstandsgeist zurück. Sie stemmte sich gegen den Wind und den Willen ihres Vaters gleichermaßen. »Willst
du
das oder die
Baronin?
«
Seine drohende Haltung verlor die Anspannung, er senkte den Arm. »Woher …«
»Sie hat von dir verlangt, dass du härter zu mir sein sollst, Vater. Und seitdem verstehe ich dich nicht mehr. Nicht mehr so wie früher.« Scylla sah ihm in die Augen. »Was ist die Cognatio? Auf was sollst du mich vorbereiten? Was ist eine Elevin?«
Karol rang nach Luft und setzte zu einem Satz an, dann bracher ab. Sie schwiegen sich an, während das Unwetter tobte und seine Blitze gegen die Erde aussandte.
»Gehen wir ins Laboratorium«, sprach er nach einiger Zeit. »Wir müssen arbeiten.« Er schritt an ihr vorbei und trat durch die Luke nach unten.
Scylla folgte ihm, dabei rieb sie sich über die schmerzende Stelle am Kopf und hatte Blut an den Fingern kleben. Auf dem Weg nach unten bemerkte sie, dass die Riegel vor den beiden Türen lagen und
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