Kinder des Judas
zeigte, dass es sich um eine Bäuerin oder Feldtagelöhnerin handelte. Aus dem Brustkorb ragte ein Pflock, und Karol hatte den Leichnam angekettet. Aus gutem Grund.
Scylla sah zu ihrem Vater. »Eine Upirina?«
»Ich habe sie für dich gefangen.« Er nickte ihr zu. »Ich hielt es für eine gute Idee, dich an ihr eine Sezierung vornehmen zu lassen.«
Sie trat näher an den Leichnam, der keiner war, und berührte die Schulter der alten Frau. Sofort schossen die Lider in die Höhe, die Augen zuckten nach links und richteten sich vollerHass auf Scylla. »Sie lebt noch!«, sagte das Mädchen begeistert. »Der Pflock hat sie nicht vernichtet. Genau wie du es gesagt hast.«
»Ein häufig anzutreffender Fehler. Daher verbrenne ich sie auch.« Karol schob das Beistelltischchen heran, auf dem Messer, Sägen und anderen chirurgische Instrumente bereitlagen. »Der Pflock verhindert, dass sie sich verwandeln kann, aber natürlich kann sie sich immer noch bewegen.« Er straffte die Ketten. »Nicht zu sehr natürlich, dafür habe ich diese Vorsichtsmaßnahme getroffen.« Er trat zurück. »Du wirst sehen, wie sich die Sehnen und Muskeln bewegen und wie das Zusammenspiel mit den Gelenken vonstattengeht. Fang an, Scylla.«
Giure war vergessen. Die wissenschaftliche Faszination hatte Scylla vollkommen in Beschlag genommen, und sie brannte darauf, den ersten Schnitt zu machen.
Sie zog die Haut Schicht für Schicht vom Oberschenkel ab; ihr Vater beschränkte sich darauf, ihr zu assistieren. Die Upirina ächzte und wimmerte, ihr Aufbegehren blieb durch die Ketten zwar schwach, aber spürbar.
Scylla zog das angesetzte Messer zurück. »Können wir ihr nicht etwas verabreichen, damit sie weniger leidet?«
»Du willst dieses Monstrum schonen?«, meinte er verwundert.
»Nein.« Sie sah unglücklich auf ihre Fehlschnitte. »Aber ihre Bewegungen stören mich. So viele Fehler begehe ich üblicherweise nicht.«
Karol lachte. »Lass es gut sein. In diesem Fall ist es besser, wenn sie zappelt. Du musst damit zurechtkommen.«
Scylla arbeitete konzentriert weiter und schälte das störende weiße Fett von den Muskeln, um sie besser in ihrer Funktionsweise studieren zu können.
Jetzt hingegen war Bewegung erwünscht. Wenn die Upirina sich nicht genügend regte, stach sie ihr mit dem Messermehrmals in die Fußsohle, bis sie zuckte und sich wand. Es erfreute Scylla, das dunkle Fleisch pumpen zu sehen. Mit Wasser spülte sie das Blut davon, um das Zusammenziehen und Entspannen in sämtlichen Einzelheiten erfassen zu können.
»Jetzt das Knie. Das Gelenk ist eine wunderbare Schöpfung«, leitete Karol sie an.
Sie nickte und begann mit ihrer Arbeit, während die Gegenwehr ihrer Gefangenen sich verstärkte.
»Lieg still«, herrschte Scylla sie aufgeregt an, nachdem sie ein halbes Dutzend neuer Fehlschnitte gemacht hatte. Die Upirina kreischte wütend. Aber es war dieser Klang, der sie inspirierte. »Nein, schrei ruhig weiter«, raunte sie und wandte sich dem dicken Hals zu, an dem der Kropf deutlich zu sehen war.
Scylla präparierte den Hals vorsichtig, entfernte den Kropf, bis die Luftröhre, der Kehlkopf und die Speiseröhre offen dalagen. Fasziniert betrachtete sie ihr Werk und fühlte sich unglaublich glücklich. Sie gehörte zu einer Handvoll Auserlesener, welche die seltene Möglichkeit erhielten, menschliche Organe in diesem Zustand zu sehen. Sie spürte weder Mitleid noch Unwohlsein, und je mehr sie sah, umso mehr wollte sie wissen.
»Mein Gott«, sagte sie überwältigt und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Sie sah zu Karol, der still lächelnd zuschaute. »Danke, Vater! Vielen, vielen Dank!«
Er nickte. »Mach weiter, Scylla. Sie wird schwächer, und wer weiß, wie lange sie durchhält, ohne neue Nahrung zu bekommen. Sieh dir die Innereien an, betrachte das arbeitende Herz und die Lunge, danach fürchte ich, ist es mit ihr vorbei.« Er ging zur Tür. »Ich muss rasch etwas nachsehen.«
Scylla stürzte sich regelrecht auf die Untote, die Hand mit dem Messer schnitt und schälte, und bei aller Geschwindigkeit behielt sie ihre Genauigkeit bei. Hautlappen und Brüste wurdeneinfach zur Seite weggeklappt, das sprudelnde Blut mit Wasser davongespült. Den Gestank, der von der Upirina ausging, nahm sie nicht mehr wahr.
Sehr zu ihrer Freude fiel die Lunge nicht sofort in sich zusammen, sondern blähte sich durch die Atmung auf, auch wenn die Züge bereits sehr schwach wurden. Scylla ging das Wagnis ein, den
Weitere Kostenlose Bücher