Kinder des Mars
Kommode waren aus dem dunklen Holz. Die Vorhänge an Bett und Fenstern, die Wände, das Bettzeug und der Teppichboden waren weiß.
Sie hängte ihre Kleider auf und schlüpfte zwischen die Laken. Vivian drückte die Kissen zurecht und blickte grübelnd aus dem Fenster. Es dauerte lange, bis sie zur Ruhe kam. Im Kopf legte sie den Trainingsplan für die nächste Woche fest und plante die Reise zu Taos. Dann machte sie endlich die Augen zu.
Vivian war eine geduldige Lehrerin, zu geduldig für Jack. Er langweilte sich schnell. Besonders übel nahm er ihr die häufigen Wiederholungen. Fechtkampf war zwar neu für Jack, doch er hatte eine rasche Auffassungsgabe.
»Zurück in die Grundstellung! Dein linkes Bein, das Standbein...«
»...nach hinten, das rechte nach vorne«, sagte Jack genervt.
»Damit kannst du dich in alle Richtungen bewegen, ohne die Balance zu verlieren«, wiederholte Vivian. »Und es bietet den Vorteil, dass deine Angriffsfläche kleiner ist, als wenn du deinem Gegner voll gegenüberstehst.«
Jack fluchte. »Was zum Teufel nutzt mir ein Florett, damit kann ich Sila durchlöchern, aber ihm nicht den Kopf abschlagen. Lieber gehe ich mit der Axt auf volle Konfrontation, damit kann ich ihm den Schädel spalten.«
»Du wirst ein Schwert mitnehmen, nicht ein Florett. Mit einem Schwert bist du sehr wohl in der Lage, jemanden zu enthaupten, und die Grundausbildung für Schwertkampf ist die gleiche wie fürs Fechten.«
»Ein Schwert ist schwerer, die Balance anders, warum kann ich dann nicht gleich damit üben?«
»Eben weil es schwerer ist. Erst einmal musst du lernen, deinen Körper zu beherrschen.«
Jack biss die Zähne zusammen und machte weiter. Doch es war offensichtlich, dass er sich mit einer dicken Axt in beiden Händen wohler fühlte als mit dem vergleichsweise dünnen Florett. Die Axt war ihm nicht neu, er hantierte damit sicher und zielgenau. Allerdings verringerte sie den Abstand zwischen Jack und seinem Gegner, was Vivian Sorgen machte. Doch sie wusste, dass er im Zweifelsfall instinktiv ohnehin auf das Altbekannte zurückgreifen würde, gleich, wie viel Übung er mit neuen Waffen hatte.
Insgesamt war Vivian sehr zufrieden mit ihrem Schüler. Sie bewunderte seine Ausdauer und seine Verbissenheit. Er musste Muskelkater haben, aber Jack beschwerte sich nicht. Er trainierte jeden Tag fünf Stunden mit ihr in einer verlassenen Fabrikhalle in Brooklyn, verlangte keine Pausen und keinen Nachlass der Trainingszeit oder der Härte.
Vivian hatte die alte Druckerei gewählt, weil sie Jack noch nicht offiziell in die Gesellschaft einführen konnte. Das private Sportcenter in Queens, in dem sie mit ihren Angestellten übte, war daher vorerst tabu.
»Autsch!«
Vivian hatte einen Treffer gelandet. Sie trainierte wie in Trance, ihr waren sämtliche Angriffs- und Abwehrbewegungen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie während der Übungen an andere Dinge denken konnte.
Sie kämpften gerade mit Stöcken. Jack hatte versucht, einen Schlag Vivians abzublocken und hatte seinen Körper dabei erfolgreich geschützt, aber seine linke Hand hatte Vivians abrutschenden Stock zu spüren bekommen.
»Verdammt!« Jack sah besorgt auf seine Uhr. »Das Glas hat einen Sprung.«
»Wirf sie weg«, riet Vivian. »Eine Uhr ist nicht wichtig.«
»Diese schon. Mein Vater hat sie mir zum Achtzehnten geschenkt«, erklärte Jack. »Ella trägt die gleiche.«
Vivian zog streng die Augenbrauen in die Höhe, doch Jack achtete nicht darauf. Er sah weiter auf die Uhr und seufzte erleichtert.
»Sie funktioniert noch. Es war nur das Glas.« Er zog sie aus und steckte sie in die Tasche seiner Jogginghose. »Weiter!«
Nach dem Training am Vormittag kehrten sie in Vivians Appartement zurück, wo sie duschten und nach einem reichhaltigen Essen den Geschichtsunterricht fortsetzten.
» Hesiod war ein Dichter, der das, was er von Unsterblichen tatsächlich wusste, mit dem griechischen Glauben an die Götter vermischte und so zurechtbog, dass es eine wohlgeordnete Kosmogonie ergab «, erzählte Vivian . » Unsere Familiengeschichte ist alles andere als langweilig, aber ein wenig chaotisch, zu umfangreich und zu verwirrend, um sie in einer Dichtung zu vereinen. Mars, oder Ares, wie er für die Griechen hieß, war für Hesiod nur der Kriegsgott des Olymp. Diese Vorstellung übernahmen die Römer, sie gaben den Göttern lediglich andere Namen. In der Bibel taucht der Krieg als einer der vier apokalyptischen Reiter auf. Und
Weitere Kostenlose Bücher