Kinder des Mars
beiden großen Kinder, die nun schon auf die Universität gehen. Auf Ella, die in der kalifornischen Sonne für den Erhalt der Kultur schwitzt, und auf meinen Sohn, der es in dieselbe Burschenschaft geschafft hat, in der ich war!«
Ella war der dicke Ring an Jacks Finger noch gar nicht aufgefallen. Am Flughafen hatte er ihn jedenfalls nicht getragen. Offenbar war er in Harvard gut aufgenommen worden.
»Prost!«
Ella nahm einen tiefen Schluck. Die prickelnden Bläschen kitzelten ihren Rachen. Sie setzte ihr Glas ab und bemerkte mit leichter Verwunderung, dass ihr Onkel seinen Champagner in einem Zug leerte. Ehe er Ellas Blick bemerkte, zog George sich in die Küche zurück, um nach dem Truthahn zu sehen, und Celeste folgte ihm. Ella und Jack waren wieder allein. Statt sich weiter über den Durst ihres Onkels zu wundern, fragte Ella Jack: »Du bist in einer Burschenschaft?«
»Ja. Die wollten mich unbedingt haben, wegen meines Vaters. Dad ist so etwas wie eine Legende. Das ist ganz nützlich zum Kontakte knüpfen. Ich habe zu Informatik Betriebswirtschaft dazu genommen und will in die freie Wirtschaft. Da läuft alles über Beziehungen. Ohne bekommst du keine Aufträge«, meinte Jack leichthin. Ihn schien das nicht zu stören.
»Lass dich nicht zu sehr vereinnahmen«, warnte Ella.
»Keine Sorge. Wir trinken kaum und werden all unsere Kurse mit Auszeichnung bestehen. Mein Freundeskreis besteht aus Freaks, die bekannt dafür sind, hart zu arbeiten. Eine Burschenschaft kann es sich überhaupt nicht leisten, saufende Versager zu unterstützen, die nur Unsinn machen. Das schadet ihrem guten Ruf.«
»Aha.«
»Bist du denn nicht in einer Schwesternschaft oder einer Clique?« wunderte sich Jack.
»Nein.« Ella lachte. »Wie immer passe ich nirgends dazu. Und du weißt, ich mag Clubs nicht.«
Ella war ein hübsches Mädchen, intelligent und freundlich, aber distanziert zu allen. Nur Jack gegenüber nicht. Sie waren am selben Tag auf die Welt gekommen, am ersten Januar 1991, und zusammen aufgewachsen. Sie hatten eine Wiege geteilt, als seien sie Zwillinge, lernten gemeinsam laufen, reiten, und kletterten auf das Dach des Kuhstalls, weil sie von dort einen guten Überblick über ihre kleine Welt hatten. Als eines Tages Ella abrutschte und fiel, sprang Jack sofort hinterher. Ella hatte Glück und landete in einem Heuhaufen. Hätte Jack einen Moment nachgedacht und gewartet, bis Ella ihm zurufen konnte, dass ihr nichts passiert war, hätte er den Weg hinunter klettern können, den sie herauf gekommen waren. Stattdessen landete er neben dem Heuhaufen und es war Ella, die sich besorgt über ihn beugte und seinen Namen rief. Wie durch ein Wunder blieb auch Jack unverletzt. Er trug lediglich einige blaue Flecke davon, doch für Ella war ihr Bruder trotzdem ihr Held. Damals waren sie beide noch zu klein gewesen, um den Unterschied zwischen Cousins und Geschwistern zu verstehen.
Die zwei wuchsen hauptsächlich bei Ginger auf, die für die Kinder immer Zeit und Platz hatte. Aber je älter sie wurden, desto mehr begriff Ella, das es nicht ihr Haus war, sondern Jacks. Jack, das Einzelkind. Während der Pubertät hatten sie eine unangenehme Phase der scheinbaren Klarheit durchlaufen, in der sie sich peinlich bewusst wurden, dass sie nicht wirklich Zwillinge waren. Doch sie kamen darüber hinweg. Sie wurden reifer, erwachsener, und beschlossen, dass es keine Rolle spielte. Jack war Ellas Bruder. Sie hätte ihre drei Schwestern und ihren tatsächlichen Bruder jederzeit für ihn eingetauscht.
Ella kam als drittes von insgesamt fünf Geschwistern auf die Welt. Ihre Mutter Rose hatte sich die ganze Schwangerschaft hindurch beschwert, dass mit dem Kind etwas anders sei als mit den ersten beiden. Der Arzt konnte nichts feststellen und sagte, alles sei in Ordnung, doch Rose hatte das Gefühl, ein fremdes Kind auszutragen. Darum gab sie ihr den Namen Ella: Die Fremde, die Andere.
Jack dagegen bedeutete Geschenk Gottes und als solches empfanden ihn seine Eltern. Für George und Ginger waren alle Kinder Geschenke Gottes. Sie hätten gern mehr gehabt. Es blieb bei dem einen. Dafür zogen sie Ella mit auf, die in ihrer Familie als mittleres Kind einen schweren Stand hatte. Es gab die Großen und die Kleinen – und dann war da noch Ella.
»Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch«, erwiderte Jack.
»Spielst du etwas für mich?« Ella wies auf den Flügel.
Jack hatte Klavierspielen gelernt. Er spielte gut, nur leider nicht gerne. Dafür
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