Kinder Des Nebels
ihrem ganzen Leben als Diebin noch nie getan. Sie hatte betrogen und heimliche Einbrüche verübt, aber nicht an Überfällen und Schlägereien teilgenommen. Während sie Kelsier durch den Korridor folgte - ihre Schuhe und Umhänge hinterließen eine feuchte Spur auf dem glatten Stein -, zog sie nervös einen ihrer Glasdolche und packte den Ledergriff mit schweißnasser Hand.
Unmittelbar vor ihnen trat ein Mann in den Korridor; er schien soeben aus einer Art Wachzimmer gekommen zu sein. Kelsier sprang vor, stieß dem Soldaten den Ellbogen in den Magen und schleuderte ihn gegen die Wand. Als der Wächter zusammenbrach, schlüpfte Kelsier bereits in den Raum.
Vin eilte hinter ihm her und geriet mitten ins Chaos. Kelsier zog mit seiner inneren Kraft einen Metallleuchter aus der Ecke, packte ihn, wirbelte mit ihm herum und schlug einen Soldaten nach dem anderen zu Boden. Wächter schrien auf, hasteten umher und ergriffen Piken, die an der Wand gestanden hatten. Ein Tisch mit halb aufgegessenen Mahlzeiten wurde umgestürzt, während die Männer versuchten, sich Platz zum Kämpfen zu verschaffen.
Ein Soldat wandte sich Vin zu, und sie reagierte, ohne nachzudenken. Sie verbrannte Stahl und warf eine Handvoll Münzen aus. Sie drückte gegen die kleinen Metallstücke, und diese wurden zu Geschossen, die das Fleisch des Wächters zerrissen und ihn zu Boden schickten.
Sie verbrannte Eisen und zog die Münzen zurück in ihre Hand. Dann drehte sie sich mit blutbefleckten Fingern um, schleuderte das Metall wieder in den Raum hinein und fällte damit drei weitere Soldaten. Kelsier erschlug den letzten mit seinem behelfsmäßigen Kampfstab.
Ich habe vier Menschen getötet,
dachte Vin verblüfft. Früher hatte Reen immer das Töten besorgt.
Hinter ihnen ertönte ein raschelndes Geräusch. Vin wirbelte herum und sah, dass eine weitere Schwadron Soldaten durch die Tür ihr gegenüber strömte. Neben ihr ließ Kelsier seinen Leuchter fallen und trat vor. Plötzlich wurden die vier Lampen des Zimmers aus ihren Halterungen gerissen und schossen auf ihn zu. Er duckte sich und ließ es zu, dass die Lampen gegeneinanderprallten.
Es wurde dunkel im Zimmer. Vin verbrannte Zinn, und ihre Augen gewöhnten sich sofort an das schwache Licht, das aus dem Korridor hereinfiel. Doch die Wachen erstarrten.
Einen Atemzug später war Kelsier mitten unter ihnen. Dolche blitzten in der Finsternis auf. Männer schrien. Dann war alles still.
Vin stand umgeben vom Tod da; die blutigen Münzen fielen ihr vor Erstaunen aus den Händen. Ihren Dolch aber hielt sie fest gepackt - auch wenn sie damit nur ihren heftig zitternden Arm beruhigen wollte.
Kelsier legte ihr eine Hand auf die Schulter, und sie zuckte zusammen.
»Es waren böse Männer, Vin«, sagte er. »Jeder Skaa weiß tief in seinem Herzen, dass es das größte Verbrechen ist, die Waffen zur Verteidigung des Letzten Reichs zu ergreifen.«
Vin nickte benommen. Sie fühlte sich ... falsch. Vielleicht war es die Gegenwart des Todes, doch nun, da sie sich im Inneren dieses Gebäudes befand, konnte sie schwören, dass sie die Macht des Obersten Herrschers noch stärker spürte. Etwas schien gegen ihre Gefühle zu drücken und sie trotz ihres Kupfers traurig zu machen.
»Komm. Uns bleibt nicht viel Zeit.« Kelsier sprang leichthin über die Toten hinweg, und Vin bemerkte benommen, dass sie ihm folgte.
Ich habe ihn überredet, mich mitzunehmen,
dachte sie.
Ich wollte so kämpfen wie er. Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen.
Sie rannten in einen zweiten Korridor, und Kelsier sprang in die Luft. Er duckte sich und schoss voran. Vin tat dasselbe. Sie suchte sich einen Anker weit hinten im Gang und zog sich an ihm durch die Luft.
Abzweigende Gänge huschten vorbei; die Luft rauschte und heulte in ihren vom Zinn geschärften Ohren. Vor ihnen traten zwei weitere Soldaten in den Korridor. Kelsier prallte mit den Füßen voran gegen einen von ihnen und rammte dem anderen mit einer raschen Bewegung einen Dolch in den Hals. Beide Männer sackten zusammen.
Kein Metall,
dachte Vin, während sie sich auf den Boden fallen ließ.
Keiner der Wächter in diesem Palast trägt Metall am Leib.
Dunsttöter nannte man sie. Sie waren dazu ausgebildet, gegen Allomanten zu kämpfen.
Kelsier duckte sich in einen Seitengang, und Vin musste rennen, um bei ihm zu bleiben. Sie verbrannte nun Weißblech, weil sie wollte, dass sich ihre Beine noch schneller bewegten. Vor ihr hielt Kelsier inne, und Vin kam stolpernd
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