Kinder Des Nebels
Yedens Schulter und drückte den Mann wieder auf seinen Stuhl zurück. »Iss«, befahl er. Dann wandte er sich an Kelsier, schob den eigenen Stuhl näher an ihn heran und sagte mit leiser Stimme: »Du hast soeben meine gesamte Armee belogen, Kell.«
»Nein, Hamm«, entgegnete Kelsier ruhig. »Ich habe
meine
Armee belogen.«
Hamm schwieg darauf, und sein Gesicht verdunkelte sich noch mehr.
Kelsier seufzte. »Es war nur teilweise eine Lüge. Sie müssen keine Krieger sein; sie müssen bloß bedrohlich genug wirken, so dass wir das Atium an uns bringen können. Damit können wir die Garnison bestechen, und unsere Männer müssen nicht einmal kämpfen. Das ist eigentlich genau das, was ich ihnen versprochen habe.«
Darauf gab Hamm keine Antwort.
»Bevor wir aufbrechen«, sagte Kelsier, »möchte ich, dass du einige Dutzend deiner vertrauenswürdigsten und ergebensten Soldaten auswählst. Wir schicken sie zurück nach Luthadel - nachdem sie geschworen haben, dass sie den Standort der Armee nicht verraten -, damit sich die Geschichte dieses Abends unter den Skaa verbreiten kann.«
»Dir geht es wohl immer nur um deine eigene Großartigkeit«, fuhr Hamm ihn an.
Kelsier schüttelte den Kopf. »Manchmal müssen wir Dinge tun, die wir selbst abscheulich finden, Hamm. Ich mag zwar ein beträchtliches Selbstwertgefühl haben, aber hier geht es um etwas vollkommen anderes.«
Hamm saß eine Weile schweigend da, dann wandte er sich wieder seiner Mahlzeit zu. Doch er aß keinen Bissen, sondern starrte nur auf das Blut auf dem Boden vor dem Generalstisch.
Ach, Hamm,
dachte Kelsier.
Ich wünschte, ich könnte dir alles erklären.
Absichten hinter anderen Absichten, Pläne hinter anderen Plänen.
Es gab immer noch ein weiteres Geheimnis.
Zuerst gab es jene, die nicht glaubten, dass der Dunkelgrund eine ernsthafte Gefahr darstellt, zumindest nicht für sie selbst. Doch er brachte eine Seuche mit, die unter meinen Augen fast jeden Teil des Landes infizierte. Armeen nützen nichts gegen sie. Große Städte werden durch ihre Macht erobert. Die Ernte bleibt aus, und das Land stirbt.
Das ist es, wogegen ich kämpfe. Das ist das Ungeheuer, das ich besiegen muss. Ich fürchte, ich brauche zu viel Zeit dazu. Die Zerstörungen sind schon so groß, dass ich um das Überleben der Menschheit bange.
Ist das wirklich das Ende der Welt, wie viele Philosophen vorhersagen?
Kapitel 22
Zu Beginn der Woche trafen wir in Terris ein,
las Vin,
und ich muss sagen, dass ich die Landschaft hier wunderschön finde. Die Berge im Norden mit ihren kahlen Schneehauben und den Waldmänteln erheben sich wie wachsame Götter über diesem Land der grünen Fruchtbarkeit. Mein eigenes Land im Süden ist größtenteils flach. Ich glaube, es würde weniger trostlos wirken, wenn einige Berge Abwechslung böten.
Die Menschen hier sind hauptsächlich Viehbauern, auch wenn man gelegentlich auf Holzfäller und Ackerbauern trifft. Es ist gewiss ein sehr ländliches Gebiet. Erstaunlich, dass eine solche Gegend jene Prophezeiungen und Theologien hervorgebracht haben soll, auf die sich nun die ganze Welt stützt.
Wir haben eine einheimische Trägergruppe angeworben, die uns
über die schwierigen Bergpässe führt. Doch es sind keine gewöhnlichen Menschen. Anscheinend entsprechen die Geschichten der Wahrheit: Einige Terriser besitzen eine bemerkenswerte Fähigkeit, die höchst verblüffend ist.
Irgendwie können sie ihre Kraft für den nächsten Tag speichern. Bevor sie nachts schlafen gehen, verbringen sie eine ganze Stunde in ihren Schlafsäcken, während der sie sehr zerbrechlich wirken - fast als ob sie plötzlich um ein halbes Jahrhundert gealtert wären. Doch wenn sie am nächsten Morgen aufwachen, haben sie recht starke Muskeln. Anscheinend hat diese Kraft etwas mit den Metallarmbändern und Ohrringen zu tun, die sie unablässig tragen.
Der Anführer der Träger heißt Raschek, und er ist ziemlich wortkarg. Dennoch hat Braches - neugierig wie immer - versprochen, ihn auszuhorchen, weil er unbedingt herausfinden will, wie diese wundersame Kraftspeicherung vor sich geht.
Morgen beginnen wir mit dem letzten Teil unserer Pilgerreise - wir gehen in die Fernen Berge von Terris. Dort werde ich hoffentlich Frieden finden - sowohl für mich selbst als auch für unser armes Land.
*
Während sie in ihrem Exemplar des Tagebuches las, kam Vin gleich zu mehreren Überzeugungen. Zum einen bemerkte sie, dass ihr das Lesen nicht gefiel. Sazed schenkte ihren Klagen kein
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