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Kinder des Sturms

Kinder des Sturms

Titel: Kinder des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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an Darcy, daran, wie sie, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, vom Fenster ihres Schlafzimmers eingerahmt gewesen war. Wieder durchzuckte ihn ein Blitz, jedoch nicht, weil er sie erkannte, sondern weil er plötzlich erneutes leidenschaftliches Verlangen nach dem Teufelsweib empfand.
    Die Frau, die er erblickte, stand ebenfalls am Fenster und war ebenfalls ungewöhnlich schön. Doch ihre Haare waren hell, hell wie der Nebel, der ihn im Augenblick umgab. Und ihre Augen leuchteten – wie er, ohne es in der Dunkelheit zu sehen, wusste – in einem wehmütigen Grün.

    Diese Frau war seit über dreihundert Jahren tot.
    Ohne sie aus den Augen zu lassen, öffnete er das Tor – und sah, dass ihr eine Träne langsam über die Wange rann. Mit pochendem Herzen ging er eilig durch das Meer von Blumen. Die Luft war erfüllt vom Duft der nebelfeuchten Blüten und von den perlenden Klängen des über der Tür hängenden, kleinen Windspiels.
    Er schloss die Tür auf und trat eilig in den Flur.
    Im Haus herrschte vollkommene Stille. Die kleine Lampe, die er hatte brennen lassen, warf lange dunkle Schatten auf die alten Dielen. Ohne auch nur daran zu denken, den Schlüssel abzulegen, ging er langsam und vorsichtig die Treppe in den ersten Stock hinauf, trat an die Tür des Schlafzimmers, atmete tief ein und drehte den Lichtschalter herum.
    Er hatte nicht erwartet, sie auch noch im erleuchteten Zimmer zu sehen. Geister sah man schließlich bestenfalls im Dunkeln. Als jedoch der Raum in hellem Licht erstrahlte, stieß er den angehaltenen Atem mit einem leisen Zischen aus.
    Die Hände ordentlich im Schoß gefaltet, stand sie ihm direkt gegenüber. Ihre feinen weizenblonden Haare fielen über die Schultern ihres schlichten grauen, bodenlangen Kleides, und die einzelne silbrig transparente Träne, die sie vergossen hatte, trocknete auf ihrer makellosen, blütenweißen Haut.
    »Weshalb vergeuden wir das, was wir in uns haben? Weshalb warten wir immer so lange, bis wir es akzeptieren?«
    Ihr melodiöser Singsang versetzte ihn in noch größeres Erstaunen als ihr bloßer Anblick.
    »Wer –« Aber natürlich wusste er genau, wen er vor sich hatte, weshalb die Frage reine Zeitverschwendung war. »Was machen Sie hier?«
    »Es ist angenehmer, zu Hause zu warten als woanders. Und ich warte bereits seit sehr langer Zeit. Er denkt, du bist der Dritte. Ich frage mich, ob er Recht hat, obwohl du dich bisher von ganzem Herzen gegen diese Rolle wehrst.«

    Es war völlig unmöglich. Man unterhielt sich nicht mit Geistern. Aus irgendeinem Grund trieb jemand einen Schabernack mit ihm, und es war allerhöchste Zeit, dass er dem Spiel ein Ende machte. Also trat er einen Schritt nach vorn, um sie am Arm zu packen – und fuhr mit seiner Hand durch sie hindurch, als wäre sie aus Rauch.
    Die Schlüssel fielen klirrend aus seinen tauben Fingern auf den Boden.
    »Ist es so schwer, zu glauben, dass es mehr gibt als das, was du mit Händen greifen kannst?« Sie fragte es freundlich, da sie wusste, wie es war, wenn man mit seiner Überzeugung kämpfte. Sie hätte ihm gestatten können, ihre alte Hülle zu berühren, doch das hätte ihm weniger bedeutet. »In deinem Blut, in deinem Herzen weißt du es bereits. Jetzt geht es nur noch darum, es auch gedanklich zu erfassen.«
    »Ich muss mich setzen.« Abrupt ließ er sich auf die Kante seines Bettes sinken. »Ich habe von Ihnen geträumt.«
    Zum ersten Mal sah er sie lächeln. Amüsiert und mitfühlend. »Ich weiß. Dein Erscheinen hier an diesem Ort wurde schließlich bereits vor langer Zeit beschlossen.«
    »Vom Schicksal?«
    »Das ist ein Wort, das du nicht magst, ein Wort, das deinen Kampfgeist weckt.« Sie schüttelte den Kopf. »Das Schicksal führt uns an gewisse Punkte eines Weges. Was du an diesen Punkten tust, liegt jedoch bei dir. Die letztendliche Entscheidung ist jedem selber überlassen. So war es auch bei mir.«
    »Ach ja?«
    »Allerdings. Ich habe getan, was ich für richtig hielt.« Leichter Ärger mischte sich in ihre melodiöse Stimme. »Das macht es noch nicht richtig, aber trotzdem musste ich tun, was meiner Meinung nach das Richtige war. Mein Gatte war ein guter, ein freundlicher Mann. Wir hatten gemeinsame Kinder, die die größte Freude meines Lebens waren, und ein Heim, in dem wir uns wohl gefühlt haben.«

    »Haben Sie ihn geliebt?«
    »Ja, o ja, nach einer Weile. Es war eine warme, ruhige Liebe, die mich mit ihm verband, und mehr hätte er nie von mir verlangt. Es war etwas

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