Kinder des Sturms
seine Stimme derart rau, dass sie die Augen zu schmalen Schlitzen verengte und ihn böse ansah. »Ist dir das, was die Küsse bei dir bewirken und was sie, wie du weißt, auch bei mir bewirken, auf Dauer genug?«
»Habe ich jemals gesagt, dass es mir nicht genügt?«
»Nein.« Doch noch während er mit dem aufkommenden Jähzorn rang, umfasste er ihr Kinn. »Wenn es so wäre, würdest du es sagen?«
Trotz seiner offensichtlichen Erregung war sie sich völlig sicher, dass er sie kühl, berechnend und vor allem gründlich musterte. Ein Mann mit diesem Maß an Selbstbeherrschung war ein Ärgernis, sagte sie sich. Und gleichzeitig eine Herausforderung. »Lass mich dir versichern, dass du der Erste bist, der es erfährt, falls ich unzufrieden bin.«
»Gut.«
»Und als eine Frau, die noch immer gesagt hat, was sie denkt, erkläre ich dir hiermit, dass es mir nicht gefällt, wenn du unaufgefordert hier hereinplatzt und derart ruppig mit mir umspringst, nur weil dir anscheinend irgendeine Laus über die Leber gelaufen ist.«
Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. »Da hast du sicher Recht. Tut mir Leid.« Er bückte sich, hob die Tüte auf, die sie hatte fallen lassen, und drückte sie ihr in die Hand. »Ich habe eben das Grab meines Onkels auf dem Tower Hill besucht.«
Sie neigte den Kopf zur Seite und sah ihn fragend an. »Trauerst du tatsächlich um einen Menschen, der gestorben ist, lange bevor du auf der Welt warst?«
Er öffnete den Mund, um es zu leugnen, doch die Wahrheit kam einfach heraus. »Ja.«
Ihr wurde warm ums Herz, und sie streckte die Hand aus und legte sie auf seinen Arm. »Komm, setz dich, ich mache dir einen Tee.«
»Nein, danke.« Er nahm ihre Hand und hob sie so beiläufig an seine Lippen, dass in ihrem Inneren heiße Sehnsucht aufwallte. Dann wandte er sich ab, trat rastlos an das Fenster und blickte hinunter auf die Baustelle.
War er ein fremder Eindringling, fragte er sich, der sich ungebeten etwas aneignen wollte? Oder war er eher der Sohn, der auf der Suche nach den Wurzeln zurückgekommen war? »Mein Großvater hat nie von diesem Ort gesprochen, und als treu ergebene, pflichtbewusste Gattin hat auch meine Großmutter nie etwas gesagt. Dadurch –«
»Wurde deine Neugierde geweckt.«
»Ja, genau. Ich hatte schon lange darüber nachgedacht, endlich einmal hierher zu kommen. Ein paar Mal hatte ich sogar schon irgendwelche halb garen Pläne, was ich hier machen würde. Aber irgendwie habe ich die Sache nie weiter verfolgt. Bis mir der Gedanke mit dem Theater kam, so plötzlich und so ausgereift, als hätte ich ihn bereits seit Jahren irgendwo im Hinterkopf gehabt.«
»Gibt es das nicht öfter?« Sie trat neben ihn und blickte ebenfalls hinaus. »Manchmal entwickelt man irgendeinen Gedanken, ohne sich dessen auch nur bewusst zu sein, bis er schließlich Hand und Fuß hat und einem nicht mehr aus dem Kopf geht.«
»Ich nehme an, da hast du Recht.« Beinahe unbewusst ergriff er ihre Hand und hielt sie einfach fest. »Da die Sache unter Dach und Fach ist, kann ich dir ja sagen, dass ich auch mehr für das Grundstück bezahlt und euch einen höheren Anteil an den Einnahmen gewährt hätte. Ich musste das Theater einfach hier an dieser Stelle haben.«
»Tja, dann kann ich dir ja auch sagen, dass wir uns auch mit weniger zufrieden gegeben hätten. Aber es hat uns großen Spaß gemacht, so zäh zu verhandeln und deinen armen Finkle zur Verzweiflung zu treiben.«
Er lachte leise auf, und ein Großteil seiner Anspannung verflog. »Mein Großonkel und auch mein Großvater haben sicher öfter das Gallagher’s besucht.«
»Natürlich. Machst du dir Gedanken darüber, was sie von dem, was du hier tust, halten würden?«
»Was mein Großvater davon halten würde, ist mir – inzwischen – vollkommen egal.«
Dies, dachte sie, war immer noch sein wunder Punkt, doch statt dass sie darüber hinwegging, fragte sie mit sanfter Stimme: »War er so ein harter Mann?«
Er zögerte, doch anscheinend war er in der Stimmung, darüber zu sprechen, und so antwortete er mit einer Gegenfrage: »Wie fandest du das Haus in London?«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Es war sehr elegant.«
»Ein verdammtes Museum.«
Sie blinzelte, da seine Stimme überraschend zornig klang. »Tja, ich muss zugeben, dass auch ich bereits den Vergleich mit einem Museum gezogen habe, aber trotzdem ist es wunderschön.«
»Nach seinem Tod haben meine Eltern mir erlaubt, einiges in dem Kasten zu
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